Serie

"Pam & Tommy": Das Internet vergisst kein Sex-Tape

Pam & Tommy
Pam & TommyHulu
  • Drucken

Eine neue Serie schildert den Skandal um ein privates Video von Pamela Anderson und Tommy Lee – und wie das noch neue Web auf alte Sitten traf. Zu sehen auf Disney+.

Auf einer abgewetzten Couch sitzend, vollzieht der Handwerker Rand Gauthier (Seth Rogen) ein Räucherritual für eine kleine Hi-8-Kassette: Möge dieses Video seinen Urhebern eine Lektion erteilen – und seinen neuen Besitzer mit finanziellem Segen entschädigen für das Unrecht, das ihm widerfahren ist. So geht Karma, ist Rand überzeugt. Und er nimmt das Karma selbst in die Hand: Er lässt die Kassette im Hinterzimmer einer Putzerei zigfach auf VHS überspielen, bastelt mit Klebestift und ausgeschnittenen „Baywatch“-Bildern ein Cover und schickt sein Produkt an jeden, der 59,90 Dollar an ein Amsterdamer Bankkonto überweist. Und das tun viele, um „Pamela's Hardcore Sex Video“ zu sehen.

Mit genüsslichem Gestus und ehrlichem Interesse an unterschiedlichen Perspektiven erzählt die neue Serie „Pam & Tommy“ die Geschichte des spektakulärsten Skandals um ein publik gewordenes Celebrity-Video: das „Sex Tape“ von Pamela Anderson und Tommy Lee, die 1995 bei den Flitterwochen nach ihrer Blitzhochzeit Momente filmten, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Der erwähnte Handwerker erbeutete es, als er in einem Racheakt Lees Tresor raubte – der Mötley-Crüe-Schlagzeuger, für wilde Eskapaden bekannt, hatte ihn zuvor für Umbauarbeiten engagiert, aus einer Laune heraus gefeuert, nie bezahlt und dann noch mit einer Waffe bedroht. Ein Rockstar halt!

Als das Ehepaar den Raub bemerkte, war das Video längst in Umlauf, verbreitet über das Web, das zu diesem Zeitpunkt viele noch für eine seltsame Modeerscheinung hielten: Völlig schockiert betrachten Pamela (Lily James in beachtlicher Maskerade) und Tommy (Sebastian Stan) in der Serie die Website, auf der das Video feilgeboten wird – mit Sonnenbrille und Kapuze am Computer einer Bibliothek, denn ihre Villa verfügt über vieles, nur keinen Internetanschluss.

Die Porno-Industrie ist ganz korrekt

„Pam & Tommy“ interessiert sich weniger für den genauen Inhalt des Videos (wenngleich hier mit Nacktheit großzügig umgegangen wird und Tommy Lees Penis eine eigene Sprechrolle hat – und das auf einer Disney-Plattform!), sondern eher für die kulturellen und technologischen Paradigmenwechsel, die der Fall perfekt sichtbar macht. Alle hier sind überzeugt, dass sie die Dinge unter Kontrolle haben: die Anwälte, dass man die Verbreitung der intimen Bilder mit Unterlassungsklagen stoppen kann; der Privatdetektiv, dass er die Kassette schon zurückholen wird. Selbst die Porno-Industrie kommt als durchwegs korrekte Branche weg, bei der alles seine Ordnung hat: Ohne unterschriebenes Einverständnis von Pam und Tommy, lachen sämtliche Vertriebsbosse, habe dieses Video keine Chance . . .

Also wird Rand, unterstützt von einem befreundeten Pornoproduzenten (Nick Offerman), selbst zum Onlineverkäufer. Die Serie nimmt sich die Zeit, die ein Modem 1995 brauchte, um sich ins Internet einzuwählen, und unterlegt das Fiepen mit dramatischer Musik. Regisseur Craig Gillespie hat sich mit seinen Filmen („I, Tonya“, „Cruella“) als Experte für tragikomische Underdog-Porträts und flotte, von einem mitreißenden Soundtrack getragene Inszenierungen empfohlen. Wie er hier in die Porno-, Film-, Musik- und Medienwelt des Los Angeles der Neunzigerjahre eintaucht und in getönten Bildern ein komplexes Sittenbild malt, ist große filmische Handwerkskunst – und ein ebenso großer Spaß.

Dazu kommen einnehmende Figuren: Tommy ist hier ein egozentrischer – und sehr verliebter – Widerling, der meist nur Tanga trägt und auch wegen Karriereproblemen wütet. Das Sexvideo sei das Beste, was er seit seinem Hit „Girls, Girls, Girls“ hervorgebracht habe, klopfen ihm ein paar Typen in einer Clubtoilette auf die Schulter. Er vermöbelt sie: Das war 1987! Lily James hingegen quiekt und schiebt Brüste und Lippen vor: Sie gibt Pam nicht als Karikatur, sondern als eine, die sich daran gewöhnt hat, dass sie dann am erfolgreichsten ist, wenn sie sich als wandelnder Blondinenwitz geriert. Dabei ist sie kein Dummchen: Dass man bei ihr, was das Video angeht, andere moralische Standards würde gelten lassen als bei ihrem Mann, weiß sie genau. „I feel violated“, klagt sie. Tommy nur: „I feel pissed.“

Der Opferstatus wird ihr aber nicht zuerkannt. Stattdessen macht man ihr zum Vorwurf, sich überhaupt nackt gefilmt zu haben. Nach dem Motto: Wer für den „Playboy“ posiert, hat sein Recht auf Privatsphäre verwirkt. Mit ihrem heutigen moralischen Blickwinkel rückt die Serie da einiges gerade – doch ein Nachgeschmack bleibt: Pamela Anderson hat der Produktion nie zugestimmt.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.