Pandemie

Wifo-Chef Felbermayr: „Welthandel ist nicht in der Krise“

Wifo-Chef Gabriel Felbermayr
Wifo-Chef Gabriel Felbermayr(c) imago images/SEPA.Media (Martin Juen via www.imago-images.de)
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Wifo-Chef Gabriel Felbermayr erkennt derzeit keine große Krise im Welthandel, sorgt sich aber wegen „geopolitischer Störungen“ und beklagt, dass in Europa während der Pandemie wieder Grenzen hochgefahren wurden.

Wien. Es war ein interessantes Tête-à-Tête mit dem Chef des heimischen Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), Gabriel Felbermayr, zu dem das OECD Berlin Centre am Freitag einlud. Denn es war keinesfalls das wörtlich übersetzte „Kopf an Kopf“, also ein vertrauliches Zwiegespräch, sondern ein sehr öffentliches, das per Videokonferenz übertragen wurde. Zwar erfuhr man Halbintimes – beispielsweise, dass Felbermayr die Wiener Schnitzel besser schmecken, als die Grüne Grütze in Deutschland –, primär ging es aber um die Einschätzung des Ökonomen zur Lage der Weltwirtschaft. Und da ließ Felbermayr aufhorchen.

„Der Welthandel sieht nicht so aus, als sei er in der Krise“, meinte der gebürtige Oberösterreicher, der lange Jahre Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft war. Noch im Jahr 2020 habe man aufgrund der Coronapandemie geglaubt, dass es im Welthandel zu einer Stagnation kommen werde oder zu einer Verlangsamung des Wachstums. Das sei aber nicht der Fall gewesen. „Der Welthandel ist stark zurückgekommen, wir liegen aktuell acht Prozent über dem Vorkrisenniveau. Das heißt, eine Krise lässt sich eigentlich nicht erkennen.“

Geld für Konsum statt Reisen

Die Engpässe und Lieferschwierigkeiten erklärt Felbermayr mit dem schnellen Hochfahren der Weltwirtschaft. Das habe zu einer Überlastung der Ketten und in der Folge auch zu Engpässen geführt. Dazu seien Probleme beim internationalen Frachtverkehr gekommen. Felbermayr: „Wenn man auf 110 Prozent der Kapazität ist, dann sind solche Störungen im laufenden Betrieb kaum zu bewältigen.“

Ein Grund für das schnelle Hochfahren des Welthandels sei auch gewesen, dass die Menschen in den Lockdowns ihr Geld nicht in Restaurants und für Reisen ausgeben konnten und somit mehr Geld in den Konsum ging. Die Entwicklung des weltweiten Handels habe sich Mitte des vorigen Jahres zwar wieder etwas verlangsamt. Es habe eine Seitwärtsbewegung gegeben – „aber auf einem deutlich höheren Niveau“ als vor der pandemiebedingten Krise. Felbermayrs Rat an alle, die den Verlauf skeptisch verfolgen: „Man darf sich nicht in etwas hineinreden, das gar nicht der Fall ist.“

Mit Sorge sieht der Wifo-Chef die weltpolitische Entwicklung. Konflikte wie jener zwischen den USA und Russland rund um die Ukraine mitsamt allen aktuellen und möglicherweise neuen Sanktionen würden den Handel natürlich belasten. Er, Felbermayr, befürchte, dass man derzeit „erst am Beginn der geopolitischen Friktionen“ stehe. Es sei beispielsweise „nicht auszumalen“, wenn sich der Konflikt China und Taiwan ähnlich zuspitze, wie jener zwischen Russland und der Ukraine. Das Urteil des Ökonomen: „Die geopolitischen Risken machen mir Sorgen.“

Mahnung vor Markt und Staat

Sorgen machen Felbermayr auch die Entwicklungen in Europa während der Pandemie. Das Problem sei, dass man an den Grenzen wieder Barrieren hochgefahren habe, die die innereuropäische Mobilität nachhaltig behindern würden. Das habe die Integration des europäischen Arbeitsmarkts nachhaltig geschädigt. Dabei sei gerade jetzt die Notwendigkeit eines funktionierenden europäischen Arbeitsmarkts so groß wie noch nie.

Was die Energiezukunft betrifft, sieht Felbermayr auch künftig die Notwendigkeit, dass Länder wie Österreich oder Deutschland Energie importieren. Das werde eben nicht mehr Erdöl oder Gas sein, sondern beispielsweise wasserstoffbasierte Kohlenstoffverbindungen. Diese könnten in Afrika mit Sonnenenergie produziert werden. Eine völlige Energie-Autarkie bezeichnete er als „ökonomisch nicht sinnvoll“.

Zum Abschluss hatte Felbermayr noch eine überraschende Mahnung an die Zuhörer parat: „Wir müssen den Märkten misstrauen.“ Relativierender Nachsatz: „Aber wir müssen auch den Bürokratien und den staatlichen Organisationen misstrauen.“ Eine „gute Dosis Misstrauen“ auf beiden Seiten sei nicht schlecht.

(rie)

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