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Im Kino: Ein monumentaler "Tod auf dem Nil"

Hercule Poirot (Kenneth Branagh) vor den Pyramiden von Gizeh und der Sphinx. Bald wird er auf dem Nil vor Rätseln stehen. Wer sind auf dem Kreuzfahrtschiff die Täter? Die meisten stehen unter Verdacht.
Hercule Poirot (Kenneth Branagh) vor den Pyramiden von Gizeh und der Sphinx. Bald wird er auf dem Nil vor Rätseln stehen. Wer sind auf dem Kreuzfahrtschiff die Täter? Die meisten stehen unter Verdacht. Photo courtesy of 20th Century S
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Der britische Regisseur Kenneth Branagh verfilmte Agatha Christies Klassiker. Er spielt Hercule Poirot. Kann er Peter Ustinov das Wasser reichen? Die Szenerie ist jedenfalls grandios.

Wie kam Hercule Poirot zu seinem Schnurrbart? Die leicht skurrile Figur des belgischen Meisterdetektivs hat in 33 Kriminalromanen und 54 Kurzgeschichten von Agatha Christie kniffelige Fälle gelöst – von „The Mysterious Affair at Styles“ 1920 bis zu „Curtain“ 1975. Doch es blieb Kenneth Branagh vorbehalten, das Geheimnis um die imposante Zierde zu lüften (er ist Mitproduzent, Regisseur und Hauptdarsteller von „Tod auf dem Nil“). In einem in Schwarz-weiß gehaltenen Vorspiel wird die Funktion des Schnauzers erklärt, der allerdings 2017 in Ausmaß und Dichte noch veritabler war („Mord im Orient Express“ wurde ebenfalls von und mit Branagh verfilmt, auch nach einem kreativen Drehbuch von Michael Green frei nach Christie).

Vom Großen Krieg traumatisiert

Poirot befindet sich im Schützengraben in Flandern. Sein Hauptmann erhält den Befehl zu einem Himmelfahrtskommando. Er soll mit seiner Truppe eine von den Deutschen gehaltene Brücke stürmen, nur noch auf den Wetterbericht warten. Poirot beobachtet den Flug der Vögel und macht einen Vorschlag: Angriff gleich jetzt, unter Einsatz von Giftgas. Der Wind sei günstig. Fast alle belgischen Soldaten können durch diesen taktischen Zug gerettet werden, nur der Hauptmann, voll des Lobes für den Einfall, stolpert dann in eine Sprengfalle und stirbt. Poirot wird schwer verletzt. Seine Verlobte besucht ihn im Lazarett, sieht seine Wunden und rät ihm ganz praktisch, sich einen Oberlippenbart als Tarnung wachsen zu lassen.

Die Geschichte geht dennoch übel aus. So nah ans Private kam man bei Poirot bisher nie. In den Büchern ist er oft arrogant und stets ein Gourmet, doch bei Branagh wird auch ein traumatisierter Mann gezeigt. Das sieht man schon in folgender Szene, bereits in Farbe: Poirot besucht einen Nachtklub in London. Als die Vorspeisen serviert werden, bricht eine seiner Neurosen aus. Der Mann hat eine Zahlen-Phobie; nichts Ungerades! Aus seinem Blickwinkel lernt man nun die Akteure kennen, die später am Nil in Morde verstrickt sein werden.

Christies Prinzip: Alle sind verdächtig, am Ende aber schließt Poirot in der großen Abrechnung vor aller Augen messerscharf auf die Mörder. Für großes Kino sind solche Plots ideal, um eine Riege von Berühmtheiten aufmarschieren zu lassen. Allein „Mord im Orient Express“ wurde bisher mindestens fünf-, „Tod auf dem Nil“ dreimal prominent verfilmt. In Erinnerung bleibt vor allem Peter Ustinov als Poirot, von Weltstars wie David Niven oder Bette Davis umgeben, die raffiniert böse spielen. Kann die Neufassung da mithalten? Für Ältere steht wohl fest: Niemand übertrifft Sir Peter an Esprit!

Doch für Jüngere bedeutet wahrscheinlich schon Branagh klassisches Kino – oder Annette Bening, hier in einer strengen Mutterrolle. Für sie sind bereits noch frischere Darsteller vertraute Superstars – etwa „Wonder Woman“ Gal Gadot (was für ein Opfer!), Armie Hammer (was für ein schmieriger Typ!), Letitia Wright (umwerfend in ihrer spöttischen, selbstbewussten Art) oder Netflix-Star Emma Mackey (sinnlich, biestig).

Das Krokodil schnappt auch einmal zu

Zu Multitalent Branagh kann man nur sagen: Er hat die Rolle des Ermittlers ziemlich schwer mit Komplexen beladen. Die Seelen-Pein nimmt dem neuen Poirot die gewohnte Abgeklärtheit und Souveränität, seine detektivische Kunst scheint dann wie unter einem Schatten zu stehen. Branaghs Spiel wirkt manchmal beinahe so, als habe sich eine tragische Figur aus einem Shakespeare-Stück in dieses hinterfotzige Kammerspiel verirrt. Entzücken bereiten hingegen mehrere Side-Shows: Die britischen Komikerinnen Dawn French und Jennifer Saunders verleihen ihm Witz, Sophie Okonedo sorgt für den Soul. Man hätte den komplexen Geschichten etwas mehr Raum geben können.

Fantastisch sind die opulenten Kamerafahrten. Wann hat man den Nil jemals derart mächtig aus der Vogelperspektive gesehen? Die Pyramiden von Gizeh und die Sphinx, vor der Poirot sinniert, jedenfalls noch nie, denn die Kolosse stehen hier direkt am Ufer des Stroms. Und das Old Cataract Hotel steht noch in alter Würde unbedrängt von Neubauten in Assuan. Dort hat Christie länger gewohnt, sich von illustren Gästen zu „Death on the Nile“ (1937) anregen lassen.

Der Strom ist ein Superstar (samt Nilkrokodil, das auch einmal zuschnappen darf), ein weiterer Old-Star ist das Luxusschiff. In diesem schippert die High Society zum Felsentempel von Ramses II. bei Abu Simbel. Monumentales für einen Monumentalfilm. Zu Christies Zeiten stand der Tempel tiefer als heute. Hier wird er Schauplatz einer Action-Szene. Da bleiben zwar alle Ausflügler am Leben, doch es beginnt bereits heftig zu bröckeln. Man hätte gewarnt sein können.
„Tod auf dem Nil“. Ab 10. Februar im Kino.

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