Schlürft schimpfend Kaffee Frapp©

Literatur im Herbst. Griechenland stellt seine neue Autorengeneration in Wien vor.

Innerhalb der Grenzen politischer Korrektheit wird man ihn im Gegensatz zu seinem venezianischen Kollegen Bru netti nicht antreffen, den Kommissar Charitos. Er kämpft gegen die Konkurrenz auf den Straßen, gegen die Nörgeleien der Ehefrau, gegen die Vorschriften des Vorgesetzten, gegen Schwarze und Kommunisten, schlürft schimpfend seinen Kaffee Frappé - aber er fällt auch nicht auf falsche Fährten der Verbrecher herein. Petros Markaris hat mit Kostas Charitos eine Figur geschaffen, die längst ganz vorne im Bataillon der literarischen Hauptstadtkommissare steht.

Der 1937 in Istanbul geborene Autor, der einige Jugendjahre in Wien verbrachte, ist heuer der Star bei den Tagen der "Literatur-im-Herbst". Ende der 50er-Jahre hat Markaris den Autor Jannis Maris für sich entdeckt, der in Krimis die Kollaboration des griechischen Großbürgertums mit den Nazis beschrieb. Damals war das Genre verpönt. Markaris übersetzte in dieser Zeit noch Goethe, Schnitzler, Wedekind, Brecht und andere deutschsprachige Dichter. Erst in den Neunzigerjahren schuf er Kommissar Charitos, weil der Krimi für ihn "zum konsequentesten Gesellschaftsroman" geworden ist: "Man kann darin gut Politisches transportieren", so Markaris. Das ist in der griechischen Literatur einige Zeit nicht geschehen.

Nach dem Fall des Obristen-Regimes (1967 bis 1974) waren die griechischen Autoren politikmüde: Dicke Bücher zu "ewigen Fragen" der Liebe und der Eheproblematik erschienen, plötzlich wurde wieder mit der griechischen Mythologie gespielt und über längst vergangene Epochen fabuliert. Erst mit dem Beitritt Griechenlands zur EU (damals noch EG) im Jahre 1981 wurde das literarische Milieu wieder offener und lebendiger. Seither und verstärkt seit der Implosion des Sowjetreichs ist - vor allem in Athen - eine Szene entstanden, die im Chor der europäischen Literaturen durchaus eine ausdrucksvolle Stimme übernehmen könnte.

Unter der neuen Generation von hellenischen Autoren ist man sich einig, dass es wichtig war, aus Spa . . . zu wandern, weniger, um eine Literaturweltmacht zu werden, als vielmehr, um internationales Flair in die Ägäis zu holen. Und das scheint gelungen. Wie wäre sonst etwa ein Autor wie Petros Chatzopoulos denkbar, der ein "Buch der Perversionen" veröffentlichte, mit dem er sich von seiner Sexbesessenheit befreite. Der 1979 in Thessaloniki geborene Autor empfindet große Affinität zu Elfriede Jelinek. Er sieht in der österreichischen Nobelpreisträgerin eine hochsensible Person, die in ihrer Literatur widerspiegelt, was ihr angetan wurde. Er ist davon überzeugt, dass "Künstler gestörte Menschen sein müssen".

Wenn nun Eliana Chourmousiadou, Lena Divani, Aris Fioretos, Panos Karnezis, Michalis Michalidis, Amanda Michalopoulou, Sofia Nikolaidou, Nikos Papandreou aus dieser neueren Generation ins Odeon kommen, so kann man eine Literatur kennen lernen, welche die Auseinandersetzung mit den "schwarzen Löchern" der hellenischen Historie nicht scheut. Bürgerkrieg (1946 bis 1949) und Militärjunta, zwei verdrängte Epochen, sind keine literarischen Tabus mehr. Und formal hat heute der postmoderne Formenreichtum die epische Breite, etwa eines Nikos Kazantzakis, abgelöst.

Sofia Nikolaidou nimmt sich in ihrem neuesten Roman, "Mauve, der Dirigent", unter anderem dem Thema Kinderprostitution an. "Blut- und Spermaflecke auf Marmor macht nur Scheuermittel weg", lässt sie darin die minderjährige Ausländerin Tamara radebrechen, eine besondere Herausforderung für die Übersetzerin Michaela Prinzinger. Sie hat einige der neuesten Romane, etwa Petros Markaris Geschichtensammlung "Balkan Blues", in ein zeitgemäßes Deutsch gebracht. Hauptstadtromane, unter diesem Stichwort lassen sich viele davon auf den Punkt bringen. Denn der überwiegende Teil des griechischen Literaturbetriebs spielt sich rund um die Akropolis ab. Daran ändert auch nichts, dass die Buchmesse in Thessaloniki in wenigen Jahren unter die "Top Twenty" der wichtigsten Buchmessen der Welt geklettert ist.

Griechische Literatur zu exportieren wurde erstmals 2001 versucht, als Griechenland Gastland der Frankfurter Buchmesse war. Da wagten ein paar deutschsprachige Verlage Übersetzungen. Namen wie Rhea Galanaki, Ioanna Karystiani, Menis Koumandareas, Dimosthenis Kourtovik, Alexis Pansélinos, Charis Vlavianos wurden in Mitteleuropa wohl zum ersten Mal gehört. Und fünf Jahre danach? Der bei seinem Erscheinen hochgelobte historische Roman "Das Leben von Ismail Ferik Pascha" von Rhea Galanaki ist heute weder im Verzeichnis lieferbarer Bücher noch auf der Homepage des Suhrkamp Verlags zu finden, sondern nur noch bei den antiquarischen Büchern. Vielen anderen griechischen Literaten, die damals an den Main kamen, ging es kaum besser: Abgesehen von Markaris' Büchern sind kaum neue Romane aus dem Ursprungsland Europas ins Deutsche übersetzt worden.

Der Gastauftritt in Frankfurt hat aber bewirkt, dass griechische Autoren in ihrer Heimat an Ansehen gewonnen haben, so Markaris. Mit den Zeitungen "Ta Nea" und "Elefterotypia" gibt es nun auch Printmedien, die Buchbeilagen produzieren. Drehscheibe aller Aktivitäten rund ums gedruckte Wort ist das nationale Buchzentrum "Ekebi". 1994 gegründet, wird es vom Kulturministerium mit 3,5 Mio. Euro gespeist. Erst mit der Schaffung dieser Einrichtung hat sich ein nennenswerter Buchmarkt entwickelt.

Christos Zachopoulos, Generalsekretär des Kulturministeriums, nennt Zahlen: 2004 stieg die Titelproduktion im Vergleich zum Vorjahr um 6,8 Prozent (oder um 502 Bücher) auf 7888 Titel. Signifikant gewachsen ist die Zahl der Kleinverlage mit maximal neun Titeln pro Jahr: von 421 im Jahr 1999 auf 492 fünf Jahre danach. Am häufigsten werden neugriechische Bücher ins Französische übersetzt, gefolgt von jenen ins Englische und Deutsche. Doch nicht der Mangel an Übersetzungen macht dieser Literatur zu schaffen, sondern die Tatsache, dass ein Großteil des griechischen Kulturbudgets in die Erhaltung der antiken Stätten fließt.

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