Biologie

Winzige Mückenlarven zeigen Zustand der Gebirgsbäche an

Zuckmücken stechen nicht. Jetzt werden sie in den Alpen und der Hohen Tatra untersucht.
Zuckmücken stechen nicht. Jetzt werden sie in den Alpen und der Hohen Tatra untersucht. (c) Getty Images/500px (Doina Tocmelea / 500px)
  • Drucken

Aquarienbesitzer kennen Zuckmückenlarven als Fischfutter. Doch in der Natur sind die Insekten an extreme Zustände angepasst, überleben sogar in Eiswasser. Neue Forschungen klären auf, welche Grenzen ihre Verbreitung hat und wie der Klimawandel diese beeinflusst.

Sie gehören zu den Extremisten, sind aber nicht sehr berühmt: die Zuckmücken, die optisch leicht an Gelsen erinnern, aber überhaupt nicht stechen und auch sonst für Menschen harmlos sind. Ihre Larven sind noch unscheinbarer als die ausgewachsenen Fluginsekten, denn sie schwimmen als winzige Raupen unter Wasser. Chironomidae heißt die Gruppe der Zuckmücken, und für Biologen und Umweltforschende sind sie von großer Relevanz, unter anderem auch, weil sie extremste Verhältnisse aushalten.

Ein Team um Reinhard Lackner (Institut für Zoologie) und Leopold Füreder (Institut für Ökologie) der Uni Innsbruck sucht nun nach diesen Zuckmückenlarven in Gebirgsflüssen und Gletscherbächen. Das vom Wissenschaftsfonds FWF geförderte Projekt schafft erstmals eine einheitliche Bestimmung der zahlreichen Arten dieser Insektenlarven im Hochgebirge, sowohl hier in den Alpen als auch in der Hohen Tatra, dem Gebirge zwischen der Slowakei und Polen. „Die Zusammenarbeit mit den tschechischen und slowakischen Kollegen ist uns in dem Projekt sehr wichtig“, sagt Reinhard Lackner. Die Zuckmücken-Forschung reicht in Tirol schon über 50 Jahre zurück. Nun sammeln die Studentinnen und Studenten neues Material, um mehr über den menschlichen Einfluss, den Klimawandel und die Grenzen der Ausbreitung dieser kleinen Insektenlarven zu erfahren. „Wie schaffen es die Larven, bei null bis zwei Grad Wassertemperatur in einem Gletscherbach zu überleben? Diese Frage wollen wir lösen: Sind die Anpassungen genetisch bedingt oder physiologisch?“, sagt Lackner.

Die Entnahme der Wasserproben, in denen sich jeweils zehn oder mehr Arten der Zuckmücken tummeln, findet in der Region um Obergurgl statt, wo Bäche mit und ohne Einfluss von Gletscherwasser verglichen werden. Die Zoologen fahren zum Rotmoosferner, dem großen Gletscher der Ötztaler Alpen, weiters ins Königstal, Gaisbergtal und hinauf zum Timmelsjoch, das sogar ganzjährig befahrbar ist. Andere Probenstellen sind nur in der schneefreien Zeit zu erreichen. „Wir wollen wissen, welche Kriterien für das Überleben einer Art wichtig sind und welche für die Verbreitung von spezialisierten Arten“, sagt Lackner. Liegt es an der Wasserqualität, der Temperatur oder spielt die geografische Isolation mit?

Vergleich mit der Vergangenheit

Schon bisher sind einige Arten der Chironomidae wichtige Indikatoren für die Qualität eines Lebensraums. Ihr Vorkommen kann anzeigen, ob ein Gewässer in gutem Zustand oder von Abwasser belastet ist. „Aquarienbesitzer kennen die kleinen roten Larven als Fischfutter, das man in der Zoohandlung kaufen kann“, sagt Lackner. Doch in der Natur gilt eher die Daumenregel, dass eine rote Färbung der Larven ein Hinweis auf eine schlechte Wasserqualität ist.

Solch anekdotenhaftes Wissen wird nun in dem FWF-Projekt neu überprüft: Das Team schließt nicht nur klassische Taxonomen ein, die mit einem Blick ins Mikroskop erkennen, welche der Hunderten Zuckmückenarten das ist, sondern auch Genetiker, Molekularbiologen, Physiologen und Limnologen. Von tschechischer Seite sind zudem Paläo-Limnologen dabei, also Gewässerforscher, die in die Vergangenheit blicken. Sie können aus früheren Erdschichten Reste der Zuckmückenlarven bestimmen und Rückschlüsse auf das damalige Klima ziehen. „Wie hat sich das Klima in 100 Jahren verändert? Gibt es Stellen, wo die Veränderung stärker war, gab es punktuell Katastrophen, und wie haben sich die Regionen danach wieder erholt, welche Arten haben überlebt? All das versuchen wir hier zu klären“, sagt Lackner. Mit einer Klimaerwärmung geht oft eine Versauerung oder, im Gegenteil, eine Alkalinisierung der Gewässer einher. Vielleicht zeigt sich nun, welche Vorgänge auch ohne menschlichen Einfluss früher schon bestimmend waren.

Heutzutage ist jedenfalls die Verschmutzung der Gletscher ein großes Problem: Ruß und andere Partikel werden von weither eingetragen, die Ablagerungen gelangen auch in die Gletscherbäche. „Das geht direkt in die Nahrungskette: Die Larven nehmen die Verschmutzung auf, diese werden von Fischen gefressen und so weiter“, betont Lackner den Einfluss auf das Ökosystem.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.02.2022)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.