Worte der Woche

Akustische Reize

Auch Pflanzen verfügen über einen differenzierten Hörsinn. Und sie leiden, wie man nun weiß, auch unter Straßenlärm.

Pflanzen haben keine Augen, und dennoch reagieren sie auf optische Reize – sie wachsen z. B. dem Licht entgegen. Pflanzen haben keine Nase, und dennoch riechen etwa Goldruten die Anwesenheit von Gallfliegen (und zwar anhand einer Substanz der Männchen, mit der Weibchen angelockt werden). Pflanzen haben auch keine Ohren, und dennoch wird immer klarer, dass sie auch auf akustische Reize ansprechen: So haben vor einigen Jahren Forscher an Nachtkerzen festgestellt, dass diese den Zuckergehalt im Nektar kurzfristig stark erhöhen, sobald sie das Flattern von Faltern oder das Summen von Bienen wahrnehmen.

Akustische Reize sind Schwingungen der Luft, die auch auf die Pflanzen übertragen werden; das Hören hängt offenbar eng mit dem Tastsinn zusammen. Und dieser ist bei Pflanzen stark ausgeprägt – nicht nur, wenn sich Ranken zielsicher um feste Gegenstände winden oder wenn Venusfliegenfallen ein Insekt fangen: Sobald Arabidopsis-Pflanzen (Acker-Schmalwand) bemerken, dass eine Raupe an ihnen knabbert, produzieren sie als Abwehrmaßnahme Bitterstoffe. An diesen Pflanzen konnte überdies gezeigt werden, dass sie die Kaugeräusche der Raupen vom Klang des Windes oder von anderen Insekten unterscheiden können.

Das Hörvermögen von Pflanzen kann sich aber auch gegen sie wenden: Wie der iranische Biologe Ali Akbar Ghotbi-Ravandi (Uni Teheran) nun herausgefunden hat, leiden auch Pflanzen unter Lärm. Er hat Studentenblumen und Feuersalbei im Labor Tonaufnahmen des Straßenlärms in Teheran vorgespielt – die Gewächse reagierten mit vermindertem Wachstum. Im Detail konnte er nachweisen, dass die Pflanzen typische Stress-Reaktionen (wie etwa bei Dürre) zeigten: Sie bildeten mehr Antioxidantien und veränderten die Ausschüttung diverser Pflanzenhormone, die das Wachstum steuern (Basic and Applied Ecology, 1. 2.).

Solche erstaunlichen Reaktionen von Pflanzen auf Geräusche sind ein weiterer Beweis dafür, dass wir Menschen uns nicht für den Maßstab der Schöpfung halten sollten: Funktionale Lebensprinzipien können auch auf ganz andere Weise als bei uns realisiert werden. Ein schlagendes Beispiel dafür sind Vögel: Ihr Gehirn sieht zwar völlig anders aus als das von Säugetieren – ihnen fehlt insbesondere eine Großhirnrinde. Das ändert aber nichts daran, dass sie ähnlich hoch entwickelte kognitive Fähigkeiten haben können. Und vielleicht auch noch ganz andere, von deren Existenz wir nicht einmal etwas ahnen.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2022)

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