„No future“ für ein Gangsterpaar

(c) Dapd (Lilli Strauss)
  • Drucken

Burgtheater Vestibül: In der Reihe „Junge Burg!“ spielen die Stars von morgen. Bei der Premiere von „Bonnie und Clyde“ wurde viel Talent gezeigt.

Es ist Liebe auf den ersten Blick und beginnt mit einem versuchten Diebstahl: Der arbeitslose Clyde Barrow (Tim Czerwonatis) versucht, das Auto der Mutter von Bonnie Parker zu knacken. Bonnie (Sophie-Christine Behnke) arbeitet als Kellnerin, ihr Mann, den sie mit 16 geheiratet hat, sitzt nach seinem ersten Gaunerstück ein. Wir befinden uns im Milieu der weißen Unterschicht von Dallas, Texas, mitten in der Wirtschaftskrise Anfang der Dreißigerjahre. Bonnie und Clyde erwarten sich mehr vom Leben als nur Elend. Aus diesem, da sind sie sich rasch einig, wollen sie heraus, indem sie die Abkürzung übers Verbrechen machen. So beginnt eine der legendären Gangster-Geschichten des 20. Jahrhunderts, die schon mehrfach verfilmt und besungen wurde.

In der Reihe „Junge Burg!“ hatte im Vestibül eine unbekümmerte, manchmal coole und manchmal leidenschaftliche Inszenierung dieses Stoffes Premiere. Die einfache Fabel wurde von Regisseur Peter Raffalt zügig in 75 Minuten umgesetzt, ideenreich genug, um nicht zu ermüden, nicht überladen, aber differenziert. Die Song-Einlagen mit Gitarre und Schlagzeug sind erfrischend, die Einspielungen von Originalfotos aus Arthur Penns großartigem Film von 1967 mit Fay Dunaway und Warren Beatty schlüssig. Bilder aus der berühmten Schlussszene werden gezeigt, als das Paar in Zeitlupe im Kugelhagel stirbt, eine Schlüsselszene für „New Hollywood“. Dieser Abend ist trotz kleiner Schwächen hervorragend gelungen. Bei solchem Engagement wachsen die Stars von morgen heran, die jetzt noch zuweilen Gefahr laufen, aus der Rolle zu fallen, wenn etwa an einer dramatischen Stelle dem angehenden Gangster ungeplant das Magazin aus der Pistole fällt, seine Partnerin das Lachen kaum unterdrücken kann. Aber solche Pannen werden mit Spielwitz bewältigt.

Eine Spur der Verwüstung

In einem kleinen Vorspiel wird klargemacht, dass es Bezüge gibt zwischen der No-Future-Generation von heute und jener aus der Großen Depression. Die vier Schauspieler treten vor die Tribüne mit den Zusehern und erzählen vom heutigen Durchschnittsleben, von Finanzkrise, Klimawandel, Globalisierungsängsten. „Wir sind Durchschnitt“, lautet die Botschaft, „die Zeit ist immer mies.“ Korrupte Banker, Arbeitslosigkeit, Landflucht hin zu den Ratten in der Stadt – eine simple aber wirksame Einstimmung in die alte Geschichte.

Und schon befinden wir uns im Süden der USA, in den Jahren 1931 bis 1934, als Bonnie und Clyde raubend und mordend durch die Vereinigten Staaten zogen, eine Spur der Verwüstung legten, ehe sie von einer Elite-Einheit der Texas Ranger in einem Hinterhalt liquidiert wurden. Dass es so kommt, ist bekannt. Die Regie macht es von Anfang an deutlich. Das blaue Cabrio, an dem sich das Pärchen kennenlernt, ist bereits von Kugeln durchsiebt, die Protagonisten und auch Verena Altenberger sowie Mathias Dachler als Buck bzw. Blanche Barrow verweisen immer wieder auf das künftige Geschehen. Sie entwickeln dabei eine schöne Bandbreite. Behnke und Czerwonatis überzeugen mit Coolness, aber auch mit Aggression; Altenberger bringt Sensibilität ein, Dachler komödiantisches Talent.

Höhepunkt ist eine Slapstick-Szene. Die Barrow-Bande sitzt im Fluchtauto. Licht aus, Licht an. Das Auto ist nun der Streifenwagen, zwei Schauspieler haben Polizeikappen auf, zwei ducken sich in die Sitze. Mit Auf- und Abblenden wird eine Verfolgungsjagd simuliert, das ist bestens choreografiert, das Publikum geht begeistert mit. Aber nach Szenen der Ausgelassenheit, nach stilisierten Gefechten und einem Video, das Gott und den Papst und die Welt persifliert, gibt es Momente der Stille und reine Lyrik. Am Schluss steht Lakonie: Der Texas Ranger beginnt den Countdown. In 37 Sekunden sind die Antihelden tot. Am Ende siegt die unerbittliche Ordnung über die böse Anarchie.

„Bonnie und Clyde“ von Thomas Richhardt im Vestibül. Bühne: Manuela Freigang, Kostüme: Elke Gattinger, Musik: Matthias Jakisic, Projektionen: Freigang, Robin Weigelt. Termine: 15., 17. und 18. November, 15. und 16. Dezember.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.