Die Settimana della moda in Mailand findet in dunklen Stunden statt. Die russische Invasion der Ukraine konfrontiert die Branche mit Sinnfragen, die sich nicht auf dem Laufsteg beantworten lassen. Die Konsequenzen möglicher Sanktionen werden ohnehin ausgeblendet.
Die Bildersuche im Archiv der Nachrichtenagenturen fördert zum Schlagwort „Diesel“ nicht Bilder von dem mit Spannung erwarteten Laufstegdebüt der Kollektion von Glenn Martens, dem avantgardistischen Kreativdirektor der Marke Diesel, zutage, sondern die Aufnahme eines dieselbetriebenen russischen U-Bootes, das den Bosporus in Richtung Schwarzes Meer emporschwimmt: Schon allein diese kleine Begebenheit führt vor, wie viel dringendere, drängendere Dinge gerade die Welt beschäftigen.
Doch das ist freilich eine der Grundkonstellationen, denen sich die Modebranche fast bei jeder Fashion Week stellen muss: Wetterkatastrophen, eine Pandemie, nun die feindliche Invasion eines Landes in Europa - wem soll da der Sinn nach Mode stehen? Gar nicht darauf zu reagieren, auf, vor, neben dem Catwalktreiben, das mag bizarr erscheinen. Ebenso merkwürdig muten aber jene Influencerinnen und Influencer (oder auch lang gediente Branchenvertreterinnen) an, die mit „Stop War"-Schildern zur nächsten Laufstegpräsentation eilen. Es ist eine Kopfnuss, die schwer zu knacken ist. Wer in Mailand von Show zu Show hastet, ist aber immerhin in der geschlossenen Modesphäre wohl so sehr mit dem Runwaygeschehen beschäftigt (und das ist keine Kritik, sondern systemisch unausweichlich), während, wer im Quarantänemodus zuhause geblieben ist, den etwas verwunderten Blick von außen in Bildarchive und Social-Media-Accounts wirft.
Nicht minder befremdlich würde es aber wohl wirken, wenn über den Laufstegen als Ad-hoc-Statement die Friedenstauben empor schweben würden, und der Vorwurf, Designerinnen und Designer würden sich mit zynischen Gesten weißzuwaschen versuchen, folgte mit Sicherheit. Und so drücken eben die Menschen abseits des offiziellen Geschehens ihre Betroffenheit aus, wenngleich die großen Luxusmarken - die sich politischer Statements freilich gemeinhin enthalten - aus mehreren Gründen davor zurückschrecken dürften, den wichtigen Exportmarkt Russland zu brüskieren. Ausfuhrbeschränkungen könnten auch die Mode empfindlich treffen, das lässt sich allein aus der Entwicklung der Aktienkurse von LVMH, Kering, Hermès oder der Prada-Gruppe unschwer ablesen.
Positiv auf die Geschäftsentwicklung von Diesel soll sich, so wohl die Hoffnung von Only-the-Brave-Konzernboss Renzo Rosso, die Arbeit von Glenn Martens, dem dekonstruktivistisch veranlagten Gründer der Marke Y/Project (kurz vor seiner Verpflichtung durch Diesel sprach der talentierte Belgier übrigens als möglicher Professor für die Modeklasse der Angewandten vor: vielleicht hat am Ende Herr Rosso ja auch ganz einfach mehr bezahlt). Martens' neue Vision für ein flott gemachtes Diesel mit einigen knalligen Neunzigerjahrezitaten überzeugte. Besonders aufregend fanden Kunsthandwerksaffine wohl einen kunstfertig bearbeiteten Denimmantel, der sich beinah zu voluminöser Kunstpelzanmutung aufblähte.
Zu den Höhepunkten der Settimana della moda zählt stets auch die Prada-Show: Wie Raf Simons und Miuccia Prada zueinander finden und wie sie die Identität der Marke weiterführen, ist eine „Developing Story“. Um gebrochene Codes, um (Gut-)Angezogensein geht es hier stets; Simons lässt es sich auch in der Herbstkollektion nicht nehmen, Referenzen aus Kollektionen der Neunzigerjahre (etwa bei einigen Strickmotiven) einzuarbeiten. Verwundern mochte manche die Anwesenheit von Super-VIP Kim Kardashian, sozusagen ein Neuzugang im Prada-Universum (aktuell wirbt Frau Kardashian für die Marke Balenciaga). Tempus fugit, tempora mutantur - und mit ihnen auch die Ehrengäste...
Der vielbeschäftigte und talentierte Designer Kim Jones, der neben der Herrenkollektion von Dior auch die Damenmode für Fendi - beides im Auftrag des LVMH-Konzerns - entwirft, legte ebenfalls eine überzeugende Kollektion vor. „Mit Tunnelblick“, ließe sich mit Schielen auf die Showarchitektur vielleicht sagen; Inspiration war aber der Look von Silvia Fendi und ihrer Tochter Delfina Delettrez.
Recht unkompliziert und ohne avantgardistische Allüren, dafür aber verlässlicher Garant für italienisch gutes Angezogensein ist Walter Chiapponi als Hausdesigner von Tod's. „Italian Beauty“ ist denn auch da eingängige Motto seiner Herbstmode für die in den Marche beheimatete Brand der Familie Della Valle.
Auch Max Mara steht für viele Modefreundinnen und -freunde für italienischen Buon gusto und Sprezzatura: Im Herbst schickt das Kreativteam seine Kundinnen gut gepolstert auf die Straße, was hoffentlich keine tieferliegende Bedeutung haben soll.
Unbeirrbar seinen Weg als fixe Größe in Mailands Modetreiben geht Giorgio Armani: Seine Zweitlinie Emporio Armani defiliert stets einige Tage vor der Hauptlinie, Herren- und Damenmode sind gleichzeitig auf dem Laufsteg zu sehen. Vereinzelt ausmachbare militärische Referenzen mochten zeitgleich mit einem Kriegsausbruch verunsichern, die Entwürfe sind freilich schon vor einiger Zeit entstanden. Er finde, es sei wieder an der Zeit, sich gut anzuziehen und bewusst mit Mode zu spielen, ließ Herr Armani seine Gefolgschaft wissen.
Entkoppelt von der Realität zeigte sich Philipp Plein mit seiner Linie Plein-Sport: Der Designer lässt ja die Zahlung mit Kryptowährungen in seinen Geschäften zu, wirft mit Begriffen wie NFT-Kunst und Metaverse mühelos um sich. Was es genau mit der ersten für das Metaverse geschaffenen Modekollektion aller Zeiten auf sich hat, wird, wer dafür nur ausreichend Interesse aufbringt, ausgiebig in virtuellen Weiten ergründen können.
Nach zwei Jahren brachte Alessandro Michele auch Gucci wieder auf Mailands Laufsteg. Seine Kollektion spielte mit Genderrollen, mehr noch als in vergangenen Saisonen. In kastig geschnittenen Anzügen mit breiten Schultern schickte er Models über den Catwalk, darunter Samt-, Pailletten-, Plaid- und Kord-Varianten. Mehr noch als das Verwischen der Gendergrenzen sorgte allerdings die gemeinsame Sache mit Adidas für Aufsehen. Die Kombination aus traditionellem Schneiderhandwerk und Elementen der Sportswear war freilich ein Hingucker. Baseballkappen und Bowling-Schuhwerk zu mondänen Anzügen, so manchem Look verpasste Michele sogar die für Adidas charakteristischen Streifen. Das berühmte Kleeblatt-Logo der Sportmarke wurde mit dem Namen des italienischen Modehauses versehen.
Bei Bottega Veneta feierte Matthieu Blazy sein Debüt. Nach dem abrupten Ausstieg des damaligen Kreativdirektors Daniel Lee übernahm der 35-jährige Belgier 2020 den Posten. Und Blazy trat dabei in relativ große Fußstapfen, denn Bottega Veneta befand sich gerade in einer Phase des Auftriebs. Der Designer beantwortere die Erwartungen mit einem Bruch zur jüngsten Vergangenheit. Seine Entwürfe so zeitlos und schlicht, wie elegant. Während die Lederanzüge durch den präzisen Schnitt ausgezeichnet waren, versprühten die Strickpullover den Charme des Handgemachten. Die für das italienische Modehaus typisch gewebten Accessoires fehlten selbstverständlich auch bei Blazys Kollektion nicht, darunter die ein neues Modell namens „Kalimero“ sowie Overknee-Stiefel.
Nicht nur in virtuelle Räume, sondern gleich ins All zog es hingegen Jeremy Scott bei Moschino: Seine wie stets nicht ganz ernst gemeinte Kollektion interpretierte die Ästhetik historisierender Möbel, das Setting verwies auf Stanley Kubricks Film „Space Odyssey“, und am Ende trat Scott im roten Astronautenanzug auf den Laufsteg. Was mit so einem Auftritt bezweckt werden soll, lässt sich zwar schwer einschätzen - führt allerdings wieder zur Eingangsfrage zurück, was Mode in so dunklen Zeiten überhaupt bezwecken kann. Vielleicht bleiben am Ende nur Jux und Eskapismus.