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"Madres paralelas": Zwei Mütter und ein Massengrab

Ana (Milena Smit) und Janis (Penélope Cruz) werden gemeinsam Mütter - und stellen sich mit vereinten Kräften der Vergangenheit.
Ana (Milena Smit) und Janis (Penélope Cruz) werden gemeinsam Mütter - und stellen sich mit vereinten Kräften der Vergangenheit.2022 Studiocanal Gmbh
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In Pedro Almodóvars „Madres paralelas“ (mit Penélope Cruz) geht es ungewohnt politisch zu: Das Melodram bricht eine Lanze für Angehörige der Opfer des Franquismus.

Es dauert nicht lang, bis die verdrängte Vergangenheit anklopft – und klarstellt, dass es im jüngsten Film der spanischen Autorenfilmgröße Pedro Almodóvar nicht nur um „Parallele Mütter“ gehen wird, wie der Titel verspricht. Ohne viel Federlesens fragt hier die Hauptfigur Janis (Penélope Cruz) gleich zu Beginn den forensischen Archäologen Arturo (Israel Elejalde), den sie als Berufsfotografin porträtiert, ob dieser ihr helfen könne, ein Massengrab in ihrem Heimatdorf freizulegen. Dort befände sich nämlich die Leiche ihres Urgroßvaters – eines Opfers der Falangisten während des Spanischen Bürgerkriegs.

Dass es in einem Almodóvar-Film so schnell so ausdrücklich politisch wird, ist ungewöhnlich – und vielleicht ein Zeichen der Zeit. Denn die Indifferenz gegenüber nationaler Gewaltgeschichte steht vielerorts verstärkt in der Kritik, ganz konkret auch in Spanien. Dort ist es etwa der Journalist Emilio Silva, der sich als Gründer einer Vereinigung zur Suche nach verschollenen Opfern des Franco-Regimes seit 2000 für die Aufarbeitung historischer Verbrechen einsetzt.

Privates Melodram, politisches Drama

Die Tätigkeit seiner Organisation hat maßgeblich zur Auseinandersetzung mit diesem Kapitel spanischer Geschichte beigetragen. Seit Francos Tod hat das Land „einen Pakt mit dem Vergessen geschlossen“, wie die Historikerin Mirjam Zadoff im Jänner im „Spectrum“ der „Presse“ schrieb – „mit der Begründung, dass die Nation nur auf diese Weise heilen und die Diktatur hinter sich bringen könne“. Dass meist das Gegenteil der Fall ist, davon kann man auch in Österreich ein trauriges Lied singen. Ebenso wie vom Widerstand gegen die Beschäftigung mit heikler Historie, der auch auf der iberischen Halbinsel beträchtlich ist.

Das „Gesetz des historischen Andenkens“, das 2007 vom spanischen Abgeordnetenhaus verabschiedet worden ist, sei vom (Ex-)Ministerpräsidenten Mariano Rajoy mit keinem einzigen Euro gewürdigt worden, klagt Arturo bei Almodóvar. „Madres paralelas“, der 2021 das Filmfest von Venedig eröffnet hat, kann man getrost als Beitrag des Kultregisseurs zum nationalen Geschichtsdiskurs verstehen. Der Schwerpunkt der Handlung liegt freilich immer noch auf privaten Peripetien, Almodóvar bleibt seinen Steckenpferden treu. Doch er nutzt sein Talent als Webmeister erzählerisch vertrackter und emotional vielschichtiger Melodramen, um die Verbindungen zwischen persönlichen und gesellschaftlichen Verwerfungen poetisch greifbar zu machen.

Die Vergangenheit solle man besser ruhen lassen, meint hier etwa der Vater von Ana (Milena Smit) zu deren selbstbezogener Schauspielermama Teresa (Aitana Sánchez-Gijón). Er spricht zwar nicht von Massengräbern, bekennt sich aber dennoch zum Prinzip der Verdrängung: Beide getrennt lebenden Eltern weigern sich, ernsthafte Verantwortung für ihre gemeinsame Tochter zu übernehmen, die am Anfang des Films blutjung Mutter wird – Vater unbekannt.

Zeitgleich mit Janis, die sich nach einer intensiven Affäre mit Arturo dafür entscheidet, das resultierende Kind im Alleingang zu schaukeln. Im Spital freunden sich die beiden Frauen trotz Altersunterschieds an. Wie ihre Wege sich gabeln und später auf Neue kreuzen, was dabei alles ins Wanken gerät und sich auf ungeahnte Wiese fängt, das ist bewährte Almodóvar'sche Erzählkunst, deren wunderliche Volten nicht verraten werden sollten. Nur so viel sei gesagt: Rachenabstriche und DNA-Analysen spielen dabei – ganz ohne Corona – eine bedeutende Rolle.

Bei Almodóvar tragen Babys Ohrringe

Wie auch bei der Identifizierung sterblicher Überreste, auf die der Plot von „Madres paralelas“ hinausläuft, die er am Ende als – etwas zu sehr – pathetisch mahnende Pointe setzt. Der Pfad zum Ermächtigungsfinale führt über die sukzessive Entbindung der Protagonisten von ihren bestehenden Lebensmodellen und Familiengefügen. Und über die Ausformung neuer Gemeinschaften, die man trotz ihres geschlechterübergreifenden Charakters feministisch nennen kann. Einend wirkt dabei vor allem die geteilte Sehnsucht nach Wahrheit und Selbstbestimmung.

Dass all das nicht zu theoretisch und trocken vonstattengeht, dafür sorgen die famosen Darsteller und Almodóvars routiniertes künstlerisches Team – darunter Komponist Alberto Iglesias (dessen Soundtrack heuer für einen Oscar nominiert wurde) sowie Kameramann José Luis Alcaines. Und nicht zuletzt das detailverliebte Stilbewusstsein des Regisseurs: In seiner Pop-Art-Welt tragen sogar kleine Babys edle Ohrringe.

Dass die Botschaft des Films weitreichend widerhallt, dafür hat indes die Gegenwart gesorgt: Wenn sie in Vergangenheit übergeht, wird Aufarbeitung bitter nötig sein.

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