Buch der Woche

Marie Gamillscheg: Die kleine Qualle wird wohl bleiben

Marie Gamillscheg
Marie Gamillscheg(c) Jens Oellermann
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In Marie Gamillschegs zweitem Roman, „Aufruhr der Meerestiere“, bekommt die zoolose Stadt Graz einen Tierpark verpasst. Die Meeresbiologin Luise soll ein Forschungsprojekt betreuen, verheddert sich aber in den Netzen ihrer Vergangenheit.

Hinter dem psychodelisch anmutenden Cover verbirgt sich kein dystopisches Szenario, wie „Aufruhr der Meerestiere“, Titel des zweiten Romans von Marie Gamillscheg, vielleicht vermuten ließe. Die Meerestiere, um die es hier geht, sind keine rabiat gewordenen weißen Haie oder alles umschlingenden Riesenkalmare, sondern eine Rippenquallenart: „Mnemiopsis leidyi, die Meerwalnuss, das gefährlichste Raubtier der Welt.“ Ursprünglich im westlichen Atlantik heimisch, reiste sie in den Achtzigerjahren in Tanks von US-amerikanischen Frachtschiffen um die Welt und ist inzwischen bis ins Schwarze Meer, ins Kaspische Meer und in die Ost- und Nordsee invasiv vorgedrungen. Im Schwarmverband legten die Quallen bereits „Kernkraftwerke lahm, indem sie die Kühlwasserzuflüsse verstopften“, und veränderten ganze Ökosysteme. Auch im Mittelmeer wurden die kleinen Rippenquallen, die wie bunt-fluoreszierende Lampenschirme aus den Siebzigerjahren durchs Wasser treiben, schon gesichtet.

Die 32-jährige Luise, eine Meeresbiologin, forscht seit Jahren auf diesem Gebiet, nun soll sie ein Projekt in einer Forschungsstation im Grazer Tierpark verwirklichen, in ihrer Heimatstadt, die sie schon vor Jahren verlassen hat, um in Kiel ihr Doktoratsstudium zu absolvieren. Charmanter Sidestep: In Graz gibt es gar keinen Tierpark, Marie Gamillschegs fiktiver Zoo ist ein Konglomerat aus unterschiedlichen europäischen Tierparks, wobei sehr oft der Schönbrunner Tiergarten herausblitzt. Auch der Direktor, im Roman Schilling genannt, ist nach Gamillschegs eigenen Aussagen dem ehemaligen Schönbrunner Direktor, Helmut Pechlaner, nachempfunden. All die Jahre ihrer Kindheit und Jugend habe Pechlaner als prominente mediale Figur sie begleitet, sie habe immer gewusst, wer Pechlaner sei, im Gegensatz dazu, wer gerade Bundespräsident sei, erzählt Gamillscheg in einem Radiointerview. So findet auch das tragische Ereignis, bei dem eine Tierpflegerin in Schönbrunn durch eine Raubkatze zu Tode gekommen ist, ihren literarischen Niederschlag in den Erinnerungen von Luise.

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