Schon Michelangelo und Dürer kannten ihren Wert

Auch die Altmeister hatten ihren Markt, in dem sich u.a. das Auf und Ab der Weltmächte widerspiegelte.

Vernichtendes hat der Artprice Report zu Machtpositionen zu vermelden. Die Grande Nation der Kunst, Frankreich, wird künftig nur mehr für Beschaffung interessant sein. Amerika hält sich noch als Nr. 1., gefolgt von England, China, auf Platz drei, holt rasant auf: bei Künstlern wie bei Käufern. Aufschläge von Auktionshäusern sind in Asien billiger als im Westen: Zehn gegenüber bis zu 25 Prozent. Russen, Chinesen kaufen Kunst ihrer Heimat, aber auch Impressionisten, Picasso.

Wie war das früher? Eine Studie der italienischen Wirtschaftswissenschaftler Federico Etro und Laura Pagani zeigte jüngst, dass der Kunstmarkt schon in der Renaissance ökonomischen Marktregeln gehorchte. Wirtschaftlich orientiertes Verhalten, Profit-Maximierung waren „entscheidende Bestimmungsfaktoren“ der Verträge von Künstlern, Auftraggebern.


Agenten, Berater, Auktionen. „Alle Strukturen, alle Rahmenbedingungen, die wir heute auf dem Kunstmarkt kennen, Auktionen, Agenten, Händler, Berater, gab es schon bei den Altmeistern“, bestätigt Univ.-Prof. Sebastian Schütze: „Genauso wie heute gab es einen Kanon der großen Namen, Raffael, Leonardo, Caravaggio, die Wahnsinnspreise erzielten und um die es einen Wettbewerb gab.“ Der Kunstmarkt spiegelte aber auch Machtverhältnisse und ihre Verschiebung wider.

Das in Renaissance und Barock dominante Italien wurde im 18., 19. Jh. ein Kunst-Reservoir, in dem sich Europa und Amerika bedienten, daher heute die strengen Ausfuhrbestimmungen. Wesentliche Teile der Berliner oder der Dresdner Gemälde-Galerie stammen aus Italien. 1919 versuchte italienisches Militär, Gemälde aus dem Wiener Kunsthistorischen Museum zu entführen. Im 19., 20. Jh. war das große Geld in Amerika. Die Amerikaner ahmten die Sammlungsmodelle des europäischen Adels nach.

Herrscher, Aristokraten, Päpste und andere kirchliche Würdenträger waren die frühen Auftraggeber für Künstler. Im 15. Jh. begann die Blüte der Niederländer, angetrieben von den Handelsherren. In der Habsburger-Monarchie bildeten sich große aristokratische Sammlungen. Bei der Moderne machte sie allerdings nicht mit. Klimt, Schiele, Wiener Werkstätte wurden vom Bürgertum, speziell jüdischen Großbürgern gesammelt, die in der NS-Zeit vertrieben, ermordet wurden.

Seit der Renaissance fühlte sich der Künstler als eigenständige Persönlichkeit. Dürer bildete sich als Christus ab. Hofkünstler standen an der Spitze der Rangliste: Tizian arbeitete für Kaiser Karl V., Leonardo da Vinci für Frankreichs König Franz I., Rubens für den Herzog von Mantua. Die Kunst-Stars lebten so luxuriös wie ihre Auftraggeber und gingen auch manchmal pleite wie sie. Michelangelo sammelte Gold in Kisten. Gian Lorenzo Bernini (1598–1680), Architekt und Bildhauer für acht Päpste, lebte in einem Palast.


Höchstpreise nur für Originale. Wer sich die Größten nicht leisten konnte, bestellte Werkstatt-Bilder. Rubens berechnete Preise je nach seiner Eigenleistung: Die höchsten für Arbeiten komplett aus seiner Hand, geringe mit Werkstatt-Beteiligung, die niedrigsten für Werkstatt-Bilder. Alles funktionierte natürlich nach seiner Idee.

Etro und Pagani, die beiden italienischen Wirtschaftswissenschaftler, analysierten u.a. Verträge, die für die Auftragsvergabe von Ölgemälden1550–1750 erstellt wurden. Ein strenger Wettbewerb unter den Künstlern beeinflusste die Preisbildung. Wer besser informiert war, hatte auch bessere Chancen, den Auftrag zu bekommen. „Hofkünstler hatten nicht nur viel Geld und Sozialprestige, sondern auch ihre Netzwerke“, so beschreibt das Schütze. Es gab auch klare Kriterien: Jeder Quadratmeter Größe erhöhte den Preis eines Bildes um durchschnittlich neun Prozent, fanden Etro und Pagani. Für Altarbilder bekamen die Künstler mehr Geld als für solche im Hauptschiff. Je mehr Personen auf einem Gemälde waren, umso teurer wurde es. Künstler neigten infolgedessen dazu, möglichst viele Personen auf Bildern unterzubringen. In Venedig bekamen sie pro Figur um drei Prozent mehr, im restlichen Italien bis zu 16.


Pest ließPreise purzeln. Für die italienischen Wissenschaftler ist der Altmeister-Markt „einer der ersten Märkte überhaupt in der moderneren Geschichte, für den Gesetze der Wirtschaft und des rationalen Handelns gelten.“ Die Pest im 17. Jh. fügte dem blühenden Kunstmarkt einen schweren Schaden zu. Die Preise für Gemälde gingen stark zurück, in Venedig, Florenz, Neapel und Rom.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2010)

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