Vorsorgeuntersuchungen

Vertane Chancen

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Zehntausende Krebsvorsorgetermine wurden wegen der Coronapandemie aufgeschoben. Mit bereits erkennbaren fatalen Folgen.

Gesundheitsinfo

Speziell im ersten Pandemiejahr haben nur wenige das Angebot der kostenlosen Brust- und Darmkrebs-Vorsorge in Anspruch genommen. Die Österreichische Krebshilfe befürchtet nun einen überdurchschnittlichen Anstieg der Sterberaten, weil viele Tumore erst in fortgeschritteneren Stadien entdeckt würden. Anfang Februar 2022 stellte Krebshilfe-Präsident Paul Sevelda fest, dass allein die Mammografie im Jahr 2020 von 41.000 Frauen weniger in Anspruch genommen wurde – ein Minus von fast 13 Prozent. Auch bei Vorsorgekoloskopien kam es zu einem Rückgang um fast 15 Prozent. Bei Frauen ist Brustkrebs die häufigste Krebs-Neuerkrankung. An dritter Stelle, nach Lungenkrebs, rangiert Darmkrebs – sowohl bei Frauen als auch bei Männern.

Jetzt Mammografie nachholen. Dass zu Beginn der Pandemie keine Einladungen an Frauen verschickt wurden, deren zweijährliche Mammografie 2020 stattfinden hätte sollen, „hat den Vorsorgegedanken zusätzlich aus dem Fokus gerückt“, kritisiert Klaus Wicke, Vorsitzender der Bundesfachgruppe Radiologie der Ärztekammer. Eine Chance ortet er im raschen Nachholen versäumter Untersuchungen: „Die meisten Mammakarzinome wachsen langsam. Eine um ein paar Monate verzögerte Diagnose verringert die Therapiechance nicht wesentlich.“ Länger sollte man aber nicht warten. „Wir entdecken immer wieder auch hoch aggressive Tumore, die binnen Monaten stark wachsen.“ Circa 5500 Österreicherinnen erhalten jährlich die Diagnose Brustkrebs – mehr als die Hälfte im Zuge einer Vorsorge-Mammografie, also meist früh genug für eine schonende und effektive Therapie. Dennoch kursieren immer noch falsche Vorstellungen.

Besonders riskant ist laut Wicke die „falsche Sicherheit, in der sich manche ältere Frauen wiegen, in der Annahme, dass Brustkrebs vor allem Jüngere betrifft, die hormonell verhüten, oder Frauen im Wechsel, die eine Hormonersatztherapie erhalten.“ Dabei liege das Durchschnittsalter der Frauen bei Brustkrebsdiagnose derzeit bei 64 Jahren.
Unnötig sei auch die Angst vor zu hohen Strahlendosen. Wicke: „Das Gros der Radiologie-Praxen arbeitet im Rahmen des offiziellen Brustkrebs-Früherkennungsprogramms und damit unter extrem strengen Qualitätskontrollen. Ein unabhängiges Institut überprüft wöchentlich die Werte der Röntgengeräte.“ Davon abgesehen übersteige die natürliche Strahlenbelastung in manchen Regionen Österreichs jene der Röntgenuntersuchungen um ein Vielfaches. Immer wieder gebe es die Befürchtung, dass das Einzwängen der Brust bei der Untersuchung Knoten verursachen könne, was der Radiologe klar verneint: „Der Druck kann etwas schmerzhaft sein. Knoten, weder gut- noch bösartige, erzeugt er aber nicht. Zudem erlauben die Gerätesensoren nur einen begrenzten Druck, den es braucht, damit wir das Gewebe gut durchleuchten können.“

Biopsie streut keine Krebszellen. Es kann sein, dass das Ergebnis der Mammografie nicht eindeutig ist und auch eine Ultraschall-Untersuchung zu keiner klaren Diagnose führt. Dann ist eine Biopsie notwendig. Entgegen der Sorge mancher Frauen können dabei aber keine Krebszellen „verstreut“ werden, denn das entnommene Zellmaterial wird sofort in die Hohlnadel gesaugt. „In keiner einzigen Studie war eine Streuung maligner Zellen bei Biopsien zu beobachten“, weiß ­Wicke. Keine Zweifel gebe es am Nutzen der Biopsie. Oft ließe sich nur so herausfinden, welche der vielfältigen Therapieoptionen die besten Heilungschancen bei möglichst geringen Nebenwirkungen birgt.

Krebs gar nicht entstehen lassen. Die Mammografie dient der Früherkennung bestehender bösartiger Veränderungen. Die Koloskopie (Darmspiegelung) vermag noch mehr: Mit der Entfernung potenzieller Krebsvorstufen während der Untersuchung kann man in bis zu 90 Prozent der Fälle verhindern, dass ein Karzinom überhaupt entsteht – eine bei Krebserkrankungen bis dato singuläre Option. Etwa jeder Vierte über Fünfzigjährige weist Darmpolypen auf. 40 Prozent davon sind Adenome, die in der Regel binnen zehn Jahren zu bösartigen Tumoren mutieren. Dennoch sterben in Österreich jährlich etwa 2700 Menschen an Dramkrebs. „Nicht einmal ein Fünftel der 50- bis 80-Jährigen macht von der kostenlosen Darmkrebsvorsorge Gebrauch“, bedauert der Magen-Darm-Spezialist und Präventivmediziner Friedrich Weiser.

„Während der ersten beiden Lockdowns im Jahr 2020 sanken die ohnehin geringen Koloskopie-Raten um etwa 70 Prozent“, so der Experte. Die teils dramatischen Auswirkungen zeigten sich bereits: „Bei den Personen, die jetzt zur Koloskopie kommen, sehen wir viel häufiger fortgeschrittene Polypen. Auch die Zahl der bereits eindeutig malignen Wucherungen ist gestiegen.“ Tückischerweise verursachen Polypen in der Regel keinerlei Beschwerden. „Es ist als Glück zu betrachten, wenn sie rechtzeitig zu bluten beginnen. Bei manchen Patienten ist ein Darmverschluss das erste Symptom. Dann ist es meist zu spät.“

Viele fürchten bei einer Koloskopie Schmerzen oder gar innere Verletzungen. Dafür gebe es „durchaus historische Gründe“, räumt Weiser ein. So habe man früher tatsächlich mit teils starken Schmerzen rechnen müssen, weil das Endoskop „quasi blind“ durch den Darm gesteuert werden. Daher wäre es damals gefährlich gewesen, mit Sedierung zu untersuchen. Heute arbeitet man mit einem Monitor, der eine sichere Führung des Endoskops erlaubt. Erst dadurch eröffnete sich die Möglichkeit einer Sedierung oder Kurznarkose. Komplikationen ließen sich zwar –wie bei allen Eingriffen– nicht hundertprozentig ausschließen, das Risiko sei aber sehr gering. Blutungen bei der Abtragung von Polypen seien noch während der Untersuchung „sehr gut zu beheben“.

Last but not least verhindern Schamgefühle oft die potenziell lebensrettende Vorsorge. Auch dies sei aus ärztlicher Sicht zu respektieren. Auf Wunsch erhält man eine sogenannte Koloskopie-Hose, die nur auf der Rückseite eine Öffnung für das Endoskop hat. „Damit fühlen sich auch diese Patienten entspannter“, so Weiser.
Anstieg der Mortalität befürchtet
Zahlreiche internationale Studien prognostizieren steigende Krebsraten als Folge der pandemiebedingten Rückgänge bei Vorsorgeuntersuchungen. Im renommierten Fachjournal „The Lancet“ publizierten britische Forscher bereits 2020 Berechnungen auf Basis der Daten zehntausender Krebspatienten. Demnach sei eine Steigerung der Todesraten für die folgenden fünf Jahre von bis zu 9,6 Prozent bei Brust- und bis zu 16,6 Prozent bei Darmkrebs zu befürchten.

Dieser Artikel stammt aus dem Gesundheitsmagazin April 2022. Hier können Sie das gesamte Magazin lesen.

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