Ukraine-Krieg

Hat Russland in Mariupol Chemiewaffen eingesetzt?

Menschen fliehen aus Mariupol. Auch heute soll es einen Fluchtkorridor aus der umkämpften Hafenstadt geben.
Menschen fliehen aus Mariupol. Auch heute soll es einen Fluchtkorridor aus der umkämpften Hafenstadt geben.(c) REUTERS (ALEXANDER ERMOCHENKO)
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Russische Truppen bereiten laut ukrainischen Angaben Offensiven im Osten vor.  Die bereits heftig umkämpfte Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer sowie Popasna im Gebiet Luhansk dürfte bald eingenommen werden.

Russische Truppen wollen Angaben aus Kiew zufolge mit einer bevorstehenden Offensive bis an die Verwaltungsgrenzen des ostukrainischen Gebiets Donezk vordringen. Russland werde versuchen, die bereits heftig umkämpfte Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer sowie Popasna im Gebiet Luhansk einzunehmen, teilte der ukrainische Generalstab Dienstagfrüh mit. Pro-russische Separatisten in Donezk bestritten indes den Einsatz von Chemiewaffen in Mariupol.

Derzeit seien die Russen dabei, ihre Truppenverlegung in die grenznahen russischen Gebiete Belgorod und Woronesch abzuschließen. In der fast zerstörten Stadt Mariupol hatte das ukrainische Asow-Regiment in der Nacht von einem angeblichen Angriff mit einer chemischen Substanz berichtet. Die Angaben des von Experten als nationalistisch und rechtsextrem eingestuften Regiments wurden zunächst von ukrainischer Seite nicht bestätigt.

Der deutsche Militärexperte Carlo Masala erwartet nach Ostern einen russischen Großangriff im Osten der Ukraine. Die Verstärkung und Umgruppierung der russischen Truppen werde bald abgeschlossen sein, sagte der Politikprofessor im "stern"-Podcast "Ukraine - die Lage". Der Beginn des Angriffs hänge von vielen Faktoren ab, bis hin zum Wetter.

Einsatz von Chemiewaffen?

In der fast zerstörten Stadt Mariupol hatte das ukrainische Asow-Regiment in der Nacht von einem angeblichen Angriff mit einer chemischen Substanz berichtet. Die Angaben des von Experten als nationalistisch und rechtsextrem eingestuften Regiments wurden zunächst von ukrainischer Seite nicht bestätigt.

Pro-russische Separatisten wiesen den Vorwurf ukrainischer Kämpfer zurück, sie hätten einen Giftgasangriff in Mariupol ausgeführt. "Die Streitkräfte der Donezker Volksrepublik haben in Mariupol keine chemischen Waffen eingesetzt", sagte Eduard Bassurin, ein Sprecher der Donezker Separatisten, laut Interfax. Eine offizielle Bestätigung gab es dafür nicht.

Die Ukraine prüft unbestätigte Informationen über den möglichen Einsatz von Chemiewaffen. "Nach vorläufigen Angaben gibt es die Annahme, dass es wohl Phosphorkampfmittel waren", sagte die stellvertretende Verteidigungsministerin Hanna Maljar im ukrainischen Fernsehen. Endgültige Schlussfolgerungen könne es erst später geben. Welche Kampfmittel genau zum Einsatz gekommen sein sollen, sagte Maljar nicht. Das Risiko eines russischen Chemiewaffeneinsatzes sei jedoch groß, betonte sie.

„Alle Optionen liegen auf dem Tisch"

Falls Russland tatsächlich Chemiewaffen in der Ukraine eingesetzt hat, dann sind der britischen Regierung zufolge für eine Reaktion darauf alle Optionen auf dem Tisch. "Es gibt einige Dinge, die jenseits des Erlaubten liegen", sagte der für die Streitkräfte zuständige Minister James Heappey dem Sender Sky News. Ein Einsatz chemischer Waffen würde eine Reaktion des Westens hervorrufen. "Und alle Optionen liegen auf dem Tisch, wie diese Reaktion aussehen könnte." Die britische Außenministerin Liz Truss hatte am Montag erklärt, Großbritannien arbeite mit seinen Partnern zusammen, um die Einzelheiten von Berichten zu überprüfen, denen zufolge russische Streitkräfte möglicherweise chemische Kampfstoffe bei einem Angriff auf Mariupol eingesetzt haben.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij hatte am Montag davor gewarnt, dass Russland Chemiewaffen einsetzen könnte. Großbritannien und die USA erklärten, ihnen seien Berichte bekannt, dass Russland möglicherweise bereits chemische Kampfstoffe im Kampf um Mariupol verwendet haben könnte.

Großbritannien: Intensive Kämpfe im Osten erwartet

Mit verstärkten Kämpfen im Osten der Ukraine in den kommenden zwei bis drei Wochen rechnet auch der britische Militärgeheimdienst. Russland konzentriere seine Angriffe weiterhin auf ukrainische Stellungen bei Donezk und Luhansk, teilt das Verteidigungsministerium in London auf Twitter mit. Um Cherson und Mykolajiw werde es weitere Kämpfe geben.

Außerdem gebe es einen neuen Vorstoß in Richtung der Stadt Kramatorsk, wo vergangene Woche bei einem Raketenangriff den Bahnhof Dutzende Menschen ums Leben gekommen waren. Die Briten sehen unter Berufung auf ihre Geheimdienste außerdem Anzeichen dafür, dass weitere russische Truppen aus Belarus abgezogen werden - wohl mit der Absicht, sie in der Ostukraine einzusetzen.

Ausbruchsversuch aus Mariupol endet tödlich

In der Nacht beschossen russische Streitkräfte nach eigenen Angaben 32 militärische Objekte in der Ukraine. Dabei seien unter anderem ein Luftabwehrraketensystem vom Typ Buk-M1 sowie ein Munitionslager und eine Flugzeughalle mit ukrainischer Luftwaffentechnik zerstört worden, teilte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, mit.

Zudem berichtete die Behörde von heftigen nächtlichen Kämpfen in der ukrainischen Hafenstadt Mariupol. "Die auf dem Territorium des Werks "Iljitsch" eingeschlossenen Reste der ukrainischen Streitkräfte haben einen Versuch erfolglos gemacht, aus der Stadt auszubrechen", sagte Konaschenkow. Seinen Angaben zufolge haben etwa 100 ukrainische Soldaten den Ausbruchsversuch unternommen; die Hälfte davon sei getötet worden. Diese Angaben waren zunächst nicht unabhängig überprüfbar.

Von Lebensmittelversorgung abgeschnitten

Seit Beginn der Belagerung durch russische Truppen vor rund sechs Wochen seien keine Lieferungen mehr zu ihnen durchgekommen, sagt ein Soldat in einem am Dienstag zuerst auf Facebook veröffentlichten Video. Der Mann, der sich und seine Kameraden als Mitglieder der 36. Marineinfanteriebrigade aus Mariupol vorstellt, trägt einen Bart und hat tiefe Augenringe. Wo der Clip aufgenommen wurde, war zunächst nicht klar.

Viele der verbliebenen ukrainischen Kämpfer haben sich offensichtlich im Stahlwerk "Asowstal" verschanzt. Am Montag bekräftigte der ukrainische Oberbefehlshaber Walerij Saluschnij, die Verbindung zu den Verteidigern Mariupols sei nicht abgerissen. Er reagierte damit auf angebliche Vorwürfe der Marineinfanteristen, es gebe seit zwei Wochen keinen Kontakt mehr zur ukrainischen Militärführung.

Der Soldat in dem nun veröffentlichten Video betont, er und die anderen würden sich trotz der schwierigen Lage nicht ergeben. "Wir haben unsere Positionen nicht verlassen und bleiben (der Ukraine) immer treu." Dann filmt er durch den fensterlosen Raum, in dem mehrere seiner Kameraden ebenfalls in Militärkleidung sitzen. "Alle Ukrainer müssen sich an den Preis für diesen Widerstand erinnern. Und die Sache zu Ende bringen. Den Sieg bis zum Ende durchfechten!"

(APA/dpa/Reuters/KAP)

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