Literatur

Auf Walter Benjamins Fluchtroute

Mariza Bodrožićwandert durch die Pyrenäen und stellt fest: „Die Toten gehen mit.“

Im September 1940 überquerte Walter Benjamin auf seiner Flucht vor dem nationalsozialistischen Terror zu Fuß die Pyrenäen auf der sogenannten F-Route. Diesen Weg, benannt nach Lisa Fittko, die auf dieser Strecke zahlreichen Menschen zur Flucht verhalf, geht im Gedenken an Benjamin auch Marica Bodrožić. In den dabei entstandenen „Seelenstenogrammen“ tritt sie in Kommunikation mit Benjamin und zahlreichen anderen Lebenden und Toten sowie ihren Texten, aber auch mit der Natur und Umgebung, mit der eigenen Familien- und Migrationsgeschichte und verbindet sie mit der vor der Gewalt des 20. Jahrhunderts Geflüchteten und ihren Fluchthelfer:innen – eine allumfassende Verbundenheit über die Zeiten und Orte hinweg. „Wir können nicht die Flucht der anderen aus unserem Denken löschen, sie bringt sich selbst ein. Die Toten gehen mit.“ Dies ist nur einer der Momente bitterer Aktualität im Text.

Das Gehen dient der Erzählstimme als Katalysator der Klarheit: „Der Weg, dieser Erzähler in meinem Kopf, weiß mehr als meine schreibende Hand.“ Denn die Umgebung – Steine, Pflanzen, Erde – schult den Blick, reißt die Wandernden aus ihren Sehgewohnheiten heraus und öffnet die Sicht für Zusammenhänge außerhalb der eigenen Unmittelbarkeit: „Das größere Gedächtnis fängt an mitzusprechen.“ Diese Verknüpfungen bilden dabei nicht nur Denkbewegungen ab, sondern sind das Prinzip, dem die Stenogramme folgen, wie Bodrožić klarstellt: „Wir alle bauen die Welt im Austausch miteinander und erfahren dabei, dass es die Welt an sich nicht gibt, sondern dass sie erst entsteht, während wir uns einander öffnen und miteinander leben lernen.“

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.