Der Staat schaut weg

Gewalt gegen Kinder: Zu viele verschließen ihre Augen vor einem unappetitlichen Phänomen.

Mag schon sein, dass der eine oder andere Vertreter der Plattform Betroffener kirchlicher Gewalt mit der einen oder anderen Aussage übertreibt. (Stichwort: Jobgarantie für Kinderschänder). Aber in einem muss den Aktivisten wohl recht gegeben werden: Der Staat versagt seit dem Überschwappen der Missbrauchswelle auf Österreich in dieser Angelegenheit auf ganzer Linie.

Wurde eine unabhängige Expertenkommission geschaffen, die die allenthalben auftauchenden Vorwürfe untersucht? Die Konsequenzen eventuell auch rechtlicher Art zu ziehen versucht? Die Präventionsmaßnahmen ausarbeitet oder nachschärft? In anderen Staaten eine Selbstverständlichkeit, in Österreich jedoch offenbar unmöglich oder aus welchen Gründen auch immer politisch nicht gewünscht.

Es kann der katholischen Kirche redlicherweise ja jetzt nicht angelastet werden, dass sie selbst eine derartige Kommission gegründet hat und finanziert, die die Fälle aufarbeiten und Entschädigungszahlungen für Opfer überweisen soll. Und die das auch konsequent tut. Bisher scheint die Arbeit dieses Gremiums mit der untadeligen Waltraud Klasnic an der Spitze auch gut zu funktionieren. Jedenfalls gibt es nicht den Funken eines Verdachts, es werde wie in der unseligen Vergangenheit auch diesmal vertuscht.

Und der Staat? Der lässt selbstvergessen die katholische Kirche vor sich hin arbeiten und tut weiter nichts. Immerhin, er hindert sie auch nicht. Einen rasch zusammengestellten Runden Tisch meinte man der Öffentlichkeit schulden zu müssen. Mehr war da nicht. Aus zwei, drei Bundesländern hieß es, sich Fälle in landeseigenen Häusern anzusehen und allenfalls Entschädigungen leisten zu wollen. Sieht tatsächlich so der Einsatz für Opfer (sexueller) Gewalt aus wie ihn sich diese Gesellschaft wünscht?

dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2010)

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