Film

Anklage gegen Guantánamo

Die kämpferische Mutter und ihr Anwalt: Meltem Kaptan und Alexander Scheer in „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“.
Die kämpferische Mutter und ihr Anwalt: Meltem Kaptan und Alexander Scheer in „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“.LUNA ZSCHARNT/Filmladen
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„Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ erzählt die Geschichte einer Deutschtürkin, deren Sohn von den USA in Pakistan inhaftiert wurde. Er sieht sie mehr privat als politisch.

Rabiye Kurnaz ist kein politischer Mensch. Ihre Kinder bedeuten der in Bremen lebenden türkischstämmigen Hausfrau alles, sie liebt sie mit unbändiger Energie, durchaus mit erdrückenden Momenten. Als ihr Sohn Murat verschwindet, indem er – ohne sich zu verabschieden – kurz nach den Anschlägen des 11. September 2001 erst nach Karatschi fliegt, um dort die Koranschule zu besuchen, und schließlich verhaftet und ohne Anklage ins Gefangenenlager Guantánamo verschleppt wird, setzt sie alles daran, ihn zurückzuholen.

Andreas Dresen ist kein in erster Linie politischer Filmemacher. Zwar spielen in seinen Filmen oft Kolorit und spezifische Probleme der erzählten Zeit eine wichtige Rolle. Vor allem aber ist es seine Stärke, die Handlungen und Motive seiner Charaktere emotional nachvollziehbar zu machen. Immer wieder geht es ihm um ihren Eigensinn und die Widerstandskräfte, die sie mobilisieren können. Selbst wenn es schwer scheint, den Gang der Dinge – etwa in „Halt auf freier Strecke“ eines Hirntumors – zu verändern.

Nun hat sich Dresen in „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ einen großen Politskandal vorgenommen: die Verschleppung und willkürliche Inhaftierung von Murat Kurnaz für mehr als viereinhalb Jahre unter menschenunwürdigen Bedingungen in Guantánamo. Hier kam es zur Aushebelung basaler Grundrechte und zu Politikversagen auf allen Ebenen. Neben den Praktiken der Amerikaner im von ihnen angeführten „War on Terror“ sind auch die Erklärungen der deutschen und der türkischen Regierung, nicht zuständig zu sein, kritikwürdig. Zum rot-grünen Nichtagieren und zum Versuch, Kurnaz die Rückkehr in sein Heimatland zu verwehren, kommt, dass ein Untersuchungsausschuss die Foltervorwürfe gegen Mitglieder der Bundeswehr-Eliteeinheit Kommando Spezialkräfte nicht entkräften konnte.

Im Gegensatz zu früheren filmischen Auseinandersetzungen mit dem Fall, etwa in Stefan Schallers Terrorkammerspiel „Fünf Jahre Leben“ (2013), erfährt man bei Dresen von dieser politischen Dimension hauptsächlich über Schrifttafeln direkt vor dem Abspann. Vielen wird das zu wenig sein.

Idealbesetzung: Kölner Komikerin

Dresen und Laila Stieler, die für ihr Drehbuch den Silbernen Bären der Berlinale gewonnen hat, haben sich für einen sehr privaten Blick auf die Geschichte entschieden, erzählen sie als David-gegen-Goliath-Melodram doch ganz aus Sicht ihrer Hauptfigur. Für diese ist die Kölner Komikerin Meltem Kaptan die Idealbesetzung. In ihrem ersten Kinoauftritt spielt sie Rabiye Kurnaz als vor Energie, Mutterliebe und körperlicher Präsenz strotzende Naturgewalt und verdient damit ihren Silbernen Bären für die beste Darstellung 2022 voll und ganz. Auch die zweite Hauptrolle ist mit Alexander Scheer großartig besetzt. Ihm gelingt es mühelos, sich nach dem singenden Baggerfahrer in „Gundermann“ nun in den nach Gerechtigkeit strebenden Bremer Menschenrechtsanwalt Bernhard Docke zu verwandeln.

Viel von seinem Drive zieht der Film aus der Annäherung der beiden zunächst völlig unterschiedlichen Hauptcharaktere. Doch trotz aller komischen Momente wird er nie zum Feel-Good-Filmchen. Auch ohne das Versagen der Entscheidungsträger näher zu thematisieren – es kommt vor allem in Gesprächen Dockes mit dem Bremer Staatsanwalt Marc Stocker (Charly Hübner) vor –, vermittelt sich die Übergriffigkeit des politischen Geschehens aufs Private über den zunächst so unbeholfen wie ungestüm wirkenden Aktionismus der Protagonistin eindringlich. Von der bildungsfernen Zumutung, als die sie Docke bei der ersten Begegnung erscheint, wandelt sie sich auf dem langen gemeinsamen Weg zum Gegenüber auf Augenhöhe. Als sie tatsächlich in Washington steht, wo sie zu ihrer eigenen Überraschung George W. Bush vor dem Supreme Court verklagt, findet sie gerade in ihrer Ohnmacht die richtigen Worte. Damit ist die Sache zwar nicht ausgestanden, aber einmal mehr hat sich gezeigt, welche Kraft auch die Bemühungen der Machtlosen entfalten können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2022)

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