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Ulrike Ottinger: Richtig guter Stoff

"Johanna d’Arc of Mongolia" von Ulrike Ottinger.
"Johanna d’Arc of Mongolia" von Ulrike Ottinger.(c) Ulrike Ottinger
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Kleidung kann Menschen verwandeln, neue Welten erschaffen und Revolutionen anzetteln - davon zeugen die außergewöhnlichen Filme Ulrike Ottingers. Bis 30. 6. zeigt das Wiener Filmmuseum das Werk der queer-feministischen Künstlerin, die unlängst ihren 80er feierte.

Hautenge, durchsichtige Plastikmäntel. Lackstiefel und Ganzkörperlederanzüge. Ausgefallene Hüte mit im Wind wehendem Federschmuck. Blitzförmige Sonnenbrillen. Volants, die wie Geschwülste aus Körpern wachsen. Bedrohlich von den Wänden starrende Gesichtsmasken. Seidig glitzernde, gleichsam im Schrank vergessene Abendroben.

Das ist nur ein kleiner Bruchteil des Fundus erstaunlicher modischer Extravaganzen, die man in den Filmen Ulrike Ottingers entdecken kann. Der radikal-surreale Feminismus der deutschen Filmemacherin, Malerin und Fotografin, die am 6. Juni ihren 80. Geburtstag feierte, äußert sich nicht zuletzt in einem sinnlichen Fest der Stoffe und Farben.

Ottingers Leinwand-Laufbahn, die Mitte der 1970er-Jahre begann und zuletzt 2020 mit „Paris Calligrammes“ einen persönlichen Blick zurück warf, ist in ihrer bewusst ausufernden, grenzüberschreitenden Vielfalt kaum zu fassen. Mehr als zwanzig Spiel- und Dokumentarfilme hat die konsequent unabhängige Künstlerin bislang gedreht. Ihre spleenige, auf verspielte Weise artifizielle und zugleich weltoffene Ästhetik ist nicht nur im deutschsprachigen Raum einzigartig. Dennoch wurde Ottingers Schaffen lang marginalisiert, stand zu Unrecht im Schatten arrivierter männlicher Kollegen aus dem Dunstkreis des „Neuen Deutschen Films“.

Im Zuge der verstärkten zeitgenössischen Auseinandersetzung mit blinden Flecken einer oftmals chauvinistischen Filmgeschichtsschreibung wird Ottinger nun erneut größere Aufmerksamkeit zuteil. 2019 widmete das renommierte New Yorker Metrograph-Kino ihr eine Retrospektive. 2020 verlieh die Berlinale ihr einen Ehrenpreis. Und in Wien lädt das Österreichische Filmmuseum zur Erkundung ihres eigenwilligen filmischen Œuvres – bis zum 30. Juni.

Schaulustspiele wie beim Song Contest

Man kann sich leicht verlieren in Ottingers queeren Schaulustspielen, zwischen Karnevalssequenzen, die an den Song Contest erinnern – und der in diesem Zusammenhang nur scheinbar widersprüchlichen, geduldigen Beobachtung fremder Kulturen. Abschrecken sollte das einen nicht: Nur selten ist das Kino so frei und ungehemmt wie hier.

Gleich das erste Bild ihres wohl bekanntesten Werks, „Bildnis einer Trinkerin“ (1979), zeigt Stoff. Ein rotes Kleid, direkt vor der Kameralinse, verdeckt den Blick und ertränkt die Leinwand in der rauschenden Farbe des Blutes. Es gibt viele verschiedene Stoffe in Ottingers Filmen. Alle eint, dass sie selbst zum Inhalt des Erzählten werden. Ein Sakko kann viel verraten über die Person, die es trägt.

Dabei interessiert sich Ottinger weniger für psychologische Porträts als für allegorische Sozialkritik. Oft geht es bei ihr, aller Buntheit zum Trotz, um gesellschaftliche Missstände. Das gilt vor allem für die experimentellen Arbeiten aus den 1970er- und 1980er Jahren. In diesen schuf Ottinger gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin Tabea Blumenstein revolutionäre, herrlich schräge Collagen aus Mode, Literatur und Musik. „Die Betörung der blauen Matrosen“ (1975) oder „Laokoon & Söhne“ (1975) sind schöne Beispiele aus dieser Zeit. Oder eben „Bildnis einer Trinkerin“, in dem sich eine reiche Frau in Berlin zu Tode saufen will. Dabei kreuzen sich ihre Wege mit einer armen Frau, deren unmäßiger Alkoholkonsum weniger dekadente Wurzeln hat.

Egal ob Kleider, Uniformen, Stickereien, Teppiche oder Vorhänge, die Kamera verliert sich bei Ottinger unentwegt im Gewebe. Da gibt es die stets bizarre Mode der Diven, die sich hinter eleganten Schleiern verbergen und ihren Status am Körper tragen. Die „mythologischen Verpackungen“, wie sie in „Freak Orlando“ (1981) genannt werden, stehen auch für das Kino selbst, für dessen Obsessionen mit Oberflächen und Verkleidungen.

Ottinger überhöht absichtsvoll die Wirkungsweisen dieser Kleider und zersetzt zeitgleich ihre Bedeutung. Die Zierde schillert derart auffällig, dass man beginnt, sich über ihre Funktion Gedanken zu machen. Parallel dazu vernimmt man aus dem bunten Kleidungsreigen einen nachhallenden Aufschrei, der Selbstbestimmung fordert: Die Frauen bei Ottinger tragen nicht das, was sie tragen sollen. Sie tragen, was sie tragen wollen. Übrigens: Einzelne Glanzstücke dieser transgressiven Garderobe sind derzeit in Wien zu sehen, in einer Kunsthallen-Ausstellung über Delphine Seyrig. Die französische Schauspielerin und Feministin arbeitete immer wieder mit Ottinger zusammen.

Ausufernde Textilethnografie

Stoffe sind in deren Filmen niemals nur Kostüm. Ottinger interessiert sich auch im ethnographischen Sinn für Gesponnenes und Gesticktes. Es ist kein Zufall, dass die Zwischentitel ihres mongolischen Erkundungstrips „Taiga“ (1992) auf einem blauen Tuch mit goldenen Verzierungen erscheinen. Das, was die für Ottinger fremden Menschen tragen, sowie ihre Bräuche und Feste, das verbindet die entspannten fiktionalen Filme mit den anmutig-stillen und teilweise äußerst langen („Chamissos Schatten“, ein Reisefilm im Beringmeer, dauert gar zwölf Stunden) dokumentarischen Arbeiten.

Die Rede ist von der Lust am Sehen und vom Beobachten der Menschen und ihrer Farben. Dabei trachten die Filme stets danach, die Welt an ihren Säumen zu erkennen. Die Kamera, die Ottinger meist selbst führt, verschlingt förmlich, was aus der tristen Monotonie des Alltags aufleuchtet. Gleich zu Beginn von „Exil Shanghai“ (1997) passiert eine schier endlose Fahrradkarawane die Kamera. Aus dem grauen Allerlei der Großstadt stechen die leuchtenden Regenjacken der Radfahrer hervor. Und mit einem Mal verwandelt sich dieses monotone Bild in ein durchkomponiertes Farbspektakel.

Nach einem Ottinger-Film beginnt man die Welt anders zu sehen, zumindest ein bisschen. Plötzlich glaubt man, in verstreuten Farbtupfern und Verzierungen Ausbruchsfantasien zu erkennen. Die Schönheit ist bei Ottinger keine Randerscheinung. Die strittige Exotik, die mit ihrem Blick einhergeht, wird von der Regisseurin auf die etymologische Bedeutung des Begriffs („auswärtig“) hin übertragen: Das Fremde trifft sich so mit dem Äußerlichen. In Folge verharrt Ottinger am liebsten in einer Distanz zu ihren Figuren: Eine Distanz, die alles Treiben auf dieser Erde als großes Theater, als eine Art Kunstwerk versteht. Diese Weltsicht ist so veraltet wie erfrischend, so betörend wie irritierend.

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