Filmbiografie

Auch Elvis war einmal ein „Bubi“

Austin Butler in Baz Luhrmanns "Elvis".
Austin Butler in Baz Luhrmanns "Elvis".(C) Warner
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Wer war der King of Rock 'n' Roll? In Baz Luhrmanns rasanter Filmbiografie „Elvis“ gibt Austin Butler ihn als Muttersöhnchen, Unruhestifter, Liebhaber afroamerikanischer Musik. Und als Schützling eines besessenen Svengali (Tom Hanks).

Die entscheidende Botschaft hallt den Kinobesuchern gleich zu Beginn ans Ohr. „Ich bin der Mann, der der Welt Elvis Presley schenkte“, flüstert Colonel Tom Parker in der Intensivstation. Das Delir lässt circensische Bilder in sein schon etwas ausgeleiertes Bewusstsein fluten. Kurze Momente der Macht, die abgelöst werden von langen Phasen der Ohnmacht, in der Elvis, sein Geldesel, ihm zu entwischen droht.

Der Colonel wurde zum Inbegriff der in der Popgeschichte noch öfters auftauchenden Figur des Svengali, eines manipulierenden Strippenziehers, der Karrieren lenkt und – nötigenfalls – auch zerstört. „Du bist ich, ich bin du“, reibt Parker dem späten Elvis rein, als sich dieser von ihm geschäftlich lösen will. Was ihm letztlich nie gelingt.

Der für seine Opulenz bekannte Regisseur Baz Luhrmann nimmt sich im Lauf der knapp 160 Minuten Spielzeit seines „Elvis“-Films noch einiger anderer wechselseitiger Abhängigkeiten dieser ersten globalen Popmusikikone an. In seinem Fokus steht die fast inzestuöse Beziehung von Elvis zu seiner Mutter, Gladys, die ihn, als er längst schon ein Star ist, immer noch „Bubi“ nennt. Dann die schwierige Ehe mit Priscilla. Und natürlich seine innige Liebe zur afroamerikanischen Musik, die der unglaublich rasant geschnittenen ersten Stunde dieser Filmbiografie seltene Dynamik verleiht. Der Zuschauer wird in einen Strudel aus ekstatischer Musik gerissen, zwischen Gospel, Soul und frühem Rock 'n' Roll.

Der auch im wirklichen Leben fantastische Gitarrist Gary Clark Jr. spielt den afroamerikanischen Rock-'n'-Roll-Pionier Arthur Crudup, dessen „That's All Right Mama“ 1954 zum ersten Elvis-Hit wurde. Die Soulsängerin Yola verkörpert sehr authentisch Sister Rosetta Tharpe, jene Pionierin, die den weltlichen Blues und den gottsuchenden Gospel kühn fusionierte. David Wenham gibt den Country-Schnulzensänger Hank Snow, der an den wilden Performances des jungen Elvis verzweifelt. Die Kamera lugt diskret zwischen die Planen von Zeltmessen, spaziert in Juke Joints und auf Jamborees, strawanzt sogar zur Louisiana Hay Revue, wo sich die Wege von Colonel Parker und Elvis erstmals kreuzten. Allesamt ländliche Veranstaltungen, deren Ordnung Elvis mit seiner ungezügelten, von der Kultur der Afroamerikaner abgeschauten Sinnlichkeit stört. Was letztlich sogar die Ordnungshüter und Gerichte beschäftigt, weil es die Politik der Segregation unterwandert.

Die Tränen fließen trotz Graceland-Villa

Um die Reiz-Reaktion-Schemata zwischen Musikern und Fans zu visualisieren, arbeitet Luhrmann mit Splitscreens, wie sie in den frühen Siebzigerjahren in Mode waren. Die wilden, unbezähmbaren Gefühle der Fans sind so quasi in Echtzeit zur Musik zu sehen. Die Bilder sind durchwegs farbenprächtig, ja knallig. Nur wenn es wirklich nötig ist, greift der Regisseur zu Pastelltönen. Etwa in jenen animierten Passagen, die auf Elvis' Liebe zu Superheldencomics verweisen. Weil er offenbar Zweifel an der Wirkmacht der alten Musik auf jüngere Ohren hat, baut Luhrmann zudem Hip-Hop-Passagen von Doja Cat und Eminem ein. Sogar Britney Spears darf kurz ihre helle Stimme erheben. Mit anderen Worten: Dieser Mann beherrscht die Kunst, Authentizität mit hochartifiziellen Mitteln herzustellen.

Nicht nur die Nebenrollen sind brillant besetzt. Elvis-Darsteller Austin Butler, ein 30-jähriger Kalifornier, ist vor diesem Film noch nicht wirklich groß in Erscheinung getreten. Am auffälligsten war er wohl noch in Quentin Tarantinos „Once Upon a Time in The West“ als Mitglied der Manson Family. Als Elvis überzeugt er erstmals auf ganzer Linie. Als Bewegungstalent, als Sänger und vor allem als Schauspieler, der es versteht, zurückhaltend zu agieren. Auch in dramatischen Szenen, etwa wenn Elvis seine Tränen in die Rocksäume der verstorbenen Mutter fließen lässt.

Theaterschauspielerin Helen Thomson legt die Figur der Gladys sehr nuanciert an. Hin- und hergerissen zwischen ihrem religiösen Glauben und dem Sog der unglaublichen Karriere ihres Sohnes, fürchtet sich die Mutter letztlich vor dem Reichtum. All die rosa Cadillacs und die schöne Graceland-Villa helfen ihr nicht über ihre seelischen Nöte hinweg. Sie hat berechtigte Angst, ihren „Bubi“ durch die Karriere zu verlieren, und idealisiert die guten, alten Tage in Armut und Anonymität.

Tom Hanks als maliziöser Fettsack

Überstrahlt werden Butler und Thomson nur von Tom Hanks als Colonel Tom Parker. Von der Maske zum monströsen Fettsack ausgestopft und geschminkt, zeigt dieser bislang vor allem fürs Brave zuständige Mime erstmals seine maliziösen Qualitäten. Und dies, obwohl er visuell ein wenig an den alten Komiker Stan Laurel erinnert.

Hinreißend gibt er den von seiner Spielsucht angetriebenen Manager, der Elvis durch Endlos-Engagements in Las Vegas in die Verzweiflung treibt, in all seinen Ambivalenzen: als wehleidigen Trickster, als besessenen Glückspieler, als cleveren Erfinder des Merchandise, aber auch als hilflosen Prellbock für die Frustrationen seines Schützlings, der als „white boy with black hips“ seine Bühnenshow „familienfreundlich“ machen soll, dies letztlich aber nie tut.

Leider geht dem Film nach einer fulminanten ersten Stunde ein wenig die Luft aus. Es ist eben nicht leicht, über fast drei Stunden Spielzeit einen Spannungsbogen zu halten. Durch die knappe Erzählweise zwischen 1968 und 1977, dem Todesjahr von Elvis, fehlt im gehetzt wirkenden Finale die emotionale Tiefe. Sehenswert ist der Film aber allemal. Und ja, der Oscar für Tom Hanks ist wieder einmal in Griffweite.

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