Morgenglosse

Täter-Opfer-Umkehr

Günther Platter (ÖVP)
Günther Platter (ÖVP)APA/EXPA/JOHANN GRODER
  • Drucken
  • Kommentieren

Wer sich politisch exponiert, ist nicht daran schuld, wenn er bedroht wird.

Landeshauptmann Günther Platter ist unter anderem deshalb zurückgetreten, weil im Zuge der Impfpflicht-Debatte die Drohungen gegen ihn selbst und sein persönliches Umfeld zugenommen haben. Sogar zu Morddrohungen sei es gekommen. Stellen wir uns jetzt kurz vor, ein Polizeisprecher würde erklären, es gebe gar keine Bedrohung für den Politiker aus dem Bereich der Corona-Maßnahmengegner. Dass der Landeshauptmann seinen Fall so dramatisch darstelle, liege daran, dass er versuche, sein eigenes Fortkommen zu fördern. Man hoffe, dass Platter, wenn er sich weiterhin fürchte, die Hilfe eines Psychologen in Anspruch nehme.

Eine absurde Vorstellung? Bei einem Landeshauptmann ja, bei einer oberösterreichischen Ärztin, die sich in Sachen Corona-Pandemie exponiert hat und mit zahlreichen Drohungen konfrontiert ist, hat die Polizei genau so argumentiert. Die Ärztin hat inzwischen ihre Praxis geschlossen: Selbst könne sie die notwendigen Schutzmaßnahmen nicht mehr finanzieren, von der Polizei fühlt sie sich im Stich gelassen.

Nun ist schon klar, dass die Polizei an ihre Grenzen stößt, wenn es darum geht hundertprozentigen Schutz zu gewährleisten. Doch eine Gefährdung angesichts der emotional aufgeschaukelten Corona-Debatten gänzlich auszuschließen, erscheint doch sehr gewagt. Implizit schwingt da der Vorwurf mit, die Ärztin habe sich mit ihrem exponierten Standpunkt selbst in diese Lage gebracht. Der oberösterreichische Ärztekammer-Präsident spricht das auch aus: Man müsse sich nicht bei jedem Thema auf Twitter exzessiv zu Wort melden.

Doch damit wird eine Täter-Opfer-Umkehr produziert: Nicht wer an der öffentlichen Debatte teilnimmt - und sei es mit kontroversiellen Standpunkten - ist schuld daran, wenn es zu Morddrohungen kommt, sondern einzig und allein derjenige, der den demokratischen Wertekanon verlässt und die Drohungen ausstößt. Man stelle sich das in einem anderen Bereich vor: Wenn ein Islamkritiker von Islamisten bedroht wird, soll der sich mit seinen Äußerungen zurückhalten, um die Islamisten nicht noch mehr zu reizen? Natürlich nicht: In unserer Demokratie muss es möglich sein, seine Meinung kund zu tun, ohne um sein Leben fürchten zu müssen. Das zu garantieren, ist eine elementare Aufgabe des Verfassungsschutzes und der Polizei. Und das gilt auch beim Thema Corona.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.