Bindung

Freundschaft mit Kraken?

„Das größte Gefühl der Erde“ empfand der Naturfilmer Craig Foster durch diese Begegnung.
„Das größte Gefühl der Erde“ empfand der Naturfilmer Craig Foster durch diese Begegnung. (c) Netflix
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Immer häufiger dokumentieren Menschen hoch emotionale Beziehungen zu den Tieren, die so anders sind als wir, selbst im Innersten, dem Genom.

„Es ist umwerfend, wenn man so eine Verbindung mit einem Tier hat. Es ist das größte Gefühl auf der Erde. Die Grenzen zwischen ihr und mir schienen sich aufzulösen.“ So beschrieb der Naturfilmer Craig Foster einen der emotionalen Höhepunkte seiner Beziehung zu einem Krakenweibchen vor der Küste Südafrikas: Ein Jahr zuvor war er beim Tauchen auf sie gestoßen, sie hatte sich in ein Versteck aus Muschelschalen zurückgezogen, im Lauf der Zeit aber ihre Scheu verloren, schließlich legte sie sich auf seine Brust und betastete – streichelte? – mit einem ihrer acht Arme sein Kinn und seine Wangen.

Dokumentiert war das 2020 auf Netflix – „My Octopus Teacher“ –, es rührte Millionen und wurde mit einem Oscar ausgezeichnet. Und Foster blieb nicht allein, bald gab es auf BBC (und später im ORF-„Universum“) ähnliche Bilder aus dem Wohnzimmer des kanadischen Meeresbiologen David Scheel, der zu Studienzwecken einen Oktopus hielt und dessen Familie zu ihm Beziehungen aufbaute, die man sonst nur von herkömmlichen Haustieren kennt, Hunden vor allem.

So hat sich das Bild von einem Tier gewandelt, das lang als bedrohliches Monster galt, das ganze Schiffe in die Tiefe riss. Aber kann man sich wirklich verständigen, gar Freundschaft aufbauen mit einem Lebewesen, das so fremd ist, einem der Mollusken, die vor 530 Millionen Jahren einen ganz anderen Weg in der Evolution eingeschlagen haben als die Wirbeltiere, zu denen wir gehören?

Immerhin haben beide Wege zu frappierend ähnlichen Enden geführt: Kraken haben enorme Gehirne entwickelt – mit 500 Millionen Nervenzellen gegenüber maximal 50.000 bei „gewöhnlichen“ Weichtieren –, sie sind in der relativen Größe vergleichbar denen der entwickeltsten Wirbeltiere. Und in der Leistungsfähigkeit auch: Kraken benützen Werkzeuge – eine Art trägt etwa immer ihre Behausung mit sich, die Schale einer Kokosnuss (Current Biology 19, R1069) –, andere haben in Labors beim Öffnen verschlossener Behälter ihre Lernfähigkeit bewiesen (Behavioral Neuroscience 22, S. 293), wieder andere haben die selbst unter Wirbeltieren rare Fähigkeit zu Selbstkontrolle, sie schieben den Zugriff zu Beute auf, wenn in einiger Zukunft größere winkt (Proc. Roy. Soc. B 2020.3161).

Und manche haben es zu internationaler Berühmtheit gebracht, „Inky“ etwa, der 2020 aus einem Aquarium in Neuseeland flüchtete, indem er erst die Abdeckung seines Beckens hob und dann am Fußboden ein Abflussrohr fand, das direkt ins Meer führte; und „Paul“ natürlich, der bei der Fußball-Europameisterschaft 2010 als TV-Orakel alle Ergebnisse der deutschen Mannschaft korrekt vorhersagte. Darüber konnte man nur den Kopf schütteln – ungläubig oder staunend –, aber woher kommen die kognitiven Fähigkeiten überhaupt? Eine für uns – und andere Wirbeltiere wie Affen, Rabenvögel und Wale – gängige Hypothese setzt auf das soziale Leben mit seinen Herausforderungen und Chancen.

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