Glaubensfrage

Tritt Franziskus zurück?

Meldungen vom nahenden Papst-Rücktritt sind stark übertrieben. Sie dürften der Kategorie Wunschdenken zuzuordnen sein. Vor oder in einer Zeitenwende befindet sich die katholische Kirche dennoch.

Jahrhundertelang wussten Katholiken bestenfalls den Namen ihres Papstes. Zu Gesicht bekommen haben sie den Pontifex maximus außerhalb Roms nie. Das sollte sich durch Fernsehen und die ausgelebte Reiseleidenschaft Johannes Pauls II. einschneidend ändern. Dass sich der Papst Fragen in Interviews stellt, von denen zuletzt gleich zwei in der abgelaufenen Woche publiziert wurden, überrascht beim unkonventionellen Franziskus dann gar nicht mehr.

Darin gibt der 85-Jährige über seinen sich bessernden Gesundheitszustand (das Knie, immer wieder das Knie!) ausführlich Auskunft und zerstört, scheinbar nebenbei, etliche Hoffnungen. Nein, nicht die vielen Hoffnungen auf diese und jene Änderungen in der katholischen Kirche. Gemeint sind Hoffnungen von Gruppen, die genau das Gegenteil wollen, die sich gegen Änderungen – außer rückwärtsgewandte – sperren und denen Papst Franziskus zu links, modernistisch und theologisch wenig reflektiert erscheint. Sie haben sich an Spekulationen delektiert oder sie sogar gestreut, der Papst könnte vor seinem Rücktritt stehen.

Eben dieser Chef der Weltkirche hat nun wieder einen interessanten Schritt gesetzt. Wie er in einem Interview mit der internationalen Nachrichtenagentur Reuters ankündigt, sollen künftig bei der Auswahl neuer Bischöfe in der zuständigen Kongregation nicht nur andere Bischöfe mitwirken, sondern auch zwei Laien, zwei Frauen. Für die große Mehrheit auch der Katholiken ist dieses Reförmchen kaum eine Erwähnung wert. Allenfalls würde die bisherige exklusive Männerherrschaft als Anstoß erregende Antiquiertheit gesehen werden. Für die Kirche ist die Neuerung tatsächlich Neuland.

Der Papst weist sich als Meister der Praxis der kleinen Nadelstiche aus, die der Jesuit gegen seine erzkonservativen, jedem Zeichen der Zeit gegenüber blinden Widersacher an der vatikanischen Kurie, aber auch in manchen Bischofskonferenzen setzt. Es ist gleichzeitig die Taktik der kleinen Schritte, die der Papst vollzieht – relativ unbeirrt von Zurufen, egal woher, stets (so zumindest einmal die Unterstellung) ein klares Ziel vor Augen. Wir werden so Augenzeugen einer Zeitenwende.

Eine mehr als naheliegende Analogie drängt sich auf. Genauso wie der Papst zuletzt wieder den Rollstuhl verlassen und ohne Stütze vorsichtige Schritte machen konnte, will er auch der katholischen Kirche mehr Beweglichkeit ermöglichen. Langsam geschieht das, mit Bedacht, Schritt für Schritt. Das mag Eiligeren alles viiiiiiiel zu langsam sein. Nur übersehen sie dabei womöglich die Gefahr des Stolperns bei höherem Tempo. Eine Kirche, die wankt und ins Stolpern gerät, kann allzu leicht in Brüche gehen.

dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2022)

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