Nachruf

Barbara Thompson, eine Pionierin des Jazz, ist gestorben

Die britische Saxofonistin behauptete sich im männlich dominierten Jazz.

Es gibt Momente in der Kindheit, von denen erholt man sich ein Leben lang nicht mehr. Das gilt auch für positive Erlebnisse. Barbara Thompson hatte das Glück, als Kind das Orchester von Duke Ellington live zu sehen. Ein Altsaxofonsolo veränderte so ihr Leben für immer. Sie griff zum Saxofon und lernte wie besessen. Am Royal College of Music in London studierte sie Klarinette, Klavier und Flöte. Fürs Saxofon gab es noch keinen Lehrstuhl. Also brachte sie es sich selbst bei.

Mit 21 Jahren wurde die 1944 in Oxford geborene Thompson Mitglied im New Jazz Orchestra von Neil Ardley. Bald gründete sie eigene Formationen. Als Instrumentalistin kam ihr eine Pionierstellung in der von Männern dominierten britischen Welt des Fusion- und Avantgardejazz zu. Sie sah gut aus und spielte noch besser. Ihr erstes, superbes Soloalbum, „Paraphernalia“, erschien 1978.

Wegen ihrer musikalischen Qualitäten war sie eine begehrte Gastmusikerin. Über die Jahre spielte sie in Jazzwundergruppen wie dem The United Jazz+Rock Ensemble, aber auch in Rockbands wie Colosseum und Manfred Mann's Earth Band. „Als Frau muss man sich immer doppelt beweisen. Und du musst besser als die Männer sein“, sagte sie. Früh legte sie sich ein Auto zu, um zu den Gigs zu kommen. Mitfahrgelegenheiten wahrzunehmen lag ihr nicht, zu oft meinten die Kollegen: „Hey, gib mir einen Kuss.“

Comeback dank neuen Medikaments

1997 wurde Parkinson bei ihr diagnostiziert. Vier Jahre später hörte sie mit dem Touren auf, doch ein neues Medikament machte ihr mehrere Comebacks möglich. Zu ihren schönsten Kompositionen zählt „Little Annie-Ooh“, eine Ode an ihre Tochter. Vielleicht als Medizin gegen das Avantgarde-Fusion-Virus arbeitete sie auch für den Kitschgroßmeister Andrew Lloyd Webber – was zeigt, wie offen diese Musikerin war. Viel gerühmt sind ihre Kurt-Weill-Adaptionen mit dem Medici String Quartet. Von der Queen wurde sie mit einem OBE ausgezeichnet. Jetzt verstarb sie kurz vor ihrem 78. Geburtstag friedlich im Schlaf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2022)

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