Literatur

Auf Umwegen zum Krieg

Meisterwerk der Sprachkunst und Zeugnis aus der jungen Sowjetunion: Isaak Babels Textsammlung „Wandernde Sterne“.

Würde die Bedeutung eines Schriftstellers am Umfang einzelner Werke oder auch des Gesamtwerks bemessen, rangierte Isaak Babel irgendwo unter „ferner liefen“. Wenn aber die stilistische Qualität, die Brisanz der Themen und die Intensität der Darstellung zählen, steht er ganz oben auf der Liste der Genies der Weltliteratur, namentlich der Kurzgeschichte. Die beiden Zyklen „Die Reiterarmee“ und „Geschichten aus Odessa“ aus den 1920er-Jahren bleiben unübertroffene Meisterwerke der Sprachkunst und ebenso einmalige Zeugnisse aus der jungen Sowjetunion.

Ihrer adäquaten Rezeption im deutschsprachigen Raum stand die bedauerliche Tatsache im Wege, dass die Übersetzer bis hin zu Heddy Pross-Weerth der Herausforderung nicht gewachsen waren. Dem schwelgerischen Nachwort von Walter Jens zu ihrer Ausgabe von 1960 war es zu verdanken, dass Aufmerksamkeit auf den fast vergessenen russischen Autor gelenkt wurde, aber wie atemberaubend er mit Sprache umgegangen war, ließ sich erst auf Grundlage philologischer Forschungen und neuerer Übertragungen, allen voran von Peter Urban, aber auch von Fritz Mierau, erahnen. „Die Reiterarmee“ (lange unter dem Titel „Budjonnys Reiterarmee“ kursierend) und die „Geschichten aus Odessa“, die im Zusammenhang mit Babels erzählender Prosa bereits vor acht Jahren bei Hanser erschienen sind, bilden den Kern und den Höhepunkt von Babels knappem Werk (auch wenn das die Herausgeber dieser Anthologie bestreiten), aber der Rest ist immer noch zu großartig, um missachtet zu werden. Das gilt insbesondere für die beiden Dramen „Marija“ und „Sonnenuntergang“. Alle paar Jahre tauchen sie auf deutschsprachigen Bühnen auf, aber dass sie sich einen Platz im Repertoire gesichert hätten, kann man nicht behaupten. Und heute, da das Literaturtheater zugunsten der Authentizität von Selbstdarstellung an den Rand gedrängt wird, haben sie wohl noch weniger Chancen, aufgeführt zu werden. Schade. Sie hätten uns, jenseits ihrer sprachlichen Schönheit, auf Umwegen auch etwas über den aktuellen Krieg Russlands gegen die Ukraine zu sagen.

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