Glaubensfrage

Deutschland gegen den Rest der Welt

Die katholische Kirche im Land Luthers stürmt ohne Rücksichtnahme Richtung Reformen. Der Papst wird Opfer seines Anspruchs. Gut so.

Wenden wir uns dem Lieblingsnachbarn zu, den Deutschen. Lassen wir im Abseits, dass die deutschen Frauen die Österreicherinnen bei der Fußball-EM soeben hinausgeworfen haben. Die Deutschen gelten als besonders gründlich und organisiert. Wenn sie etwas angehen, dann mit System, Konsequenz, fast ist man als nonchalanter Österreicher (wieder eines dieser Klischees) geneigt zu sagen: mit Penetranz. So der Verdacht.

Tatsächlich: Die deutsche katholische Kirche geht ihren Reformweg, den sie synodalen Weg nennt, konsequent voran. Extrem gründlich, breit, mit vielen Sitzungen, Papieren, Lesungen derselben, Abstimmungen. Alles extrem neu, alles extrem spannend. Und extrem verstörend – für den Rest der katholischen Welt. Für die vatikanische Hochbürokratie trifft das besonders zu, aber selbst für Papst Franziskus, in den allerlei Reformfantasien projiziert werden (manchmal sogar zu Recht).

Nicht erst einmal hat er sich öffentlich sehr kritisch über das Treiben jenseits der Alpen geäußert und vor einem Alleingang Deutschlands und einer Abspaltung gewarnt. Zuletzt geschehen vor wenigen Tagen durch eine überraschende Erklärung des Heiligen Stuhls, die sogleich in Deutschland als Abkanzelung interpretiert wurde. Undiplomatisch hat es Franziskus früher so zugespitzt: „Es gibt eine sehr gute evangelische Kirche in Deutschland. Wir brauchen nicht zwei von ihnen.“

Wahrscheinlich ist eine Abspaltung nicht, völlig auszuschließen ist sie bei der Eigendynamik der deutschen Veranstaltung, die gewaltige Zentrifugalkräfte entstehen lässt, aber auch wieder nicht. Es ist nicht nur die Forderung nach Priesterinnen, die im Vatikan und anderswo auf wenig Verständnis stößt, sondern auch der Versuch, die Kirchenführung synodal zu gestalten, mit einem ständigen Rat aus Klerikern und gleichberechtigten Laien.

Ob Franziskus den Zauberlehrling Goethes kennt? „Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los“, heißt es da gegen Ende. Immerhin hat der Papst selbst immer wieder für Reformen geworben und nicht zuletzt seine Bischöfe aufgefordert, ihm Vorschläge zu machen, mutige gar. Jetzt hat er sie, die sehr mutigen bis radikalen Vorschläge, zumindest aus Deutschland. Österreich feilt in diesen Tagen der Hitze noch am Papier für die vom Papst ausgerufene Weltsynode. Kleine Prognose: Es wird weniger apodiktisch, weniger spektakulär ausfallen.

Zurück zu Geheimrat Goethe. Die ich rief, die Geister, . . . Papst Franziskus hat für Bemühungen um das Erneuern der Kirche ja nicht irgendwelche Geister gerufen. Er hat wohl in altem katholischen Verständnis nach anderem gerufen – dem Geist. Dem Geist Gottes. Jetzt findet dieses Wort dann doch in einem säkularen Medium Verwendung.

dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.07.2022)

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