Unterwegs

Geblieben sind ein paar Bäume

Wenn man Unter den Linden von einer Zeit mit mehr Linden träumt.

Es war eine dieser unmöglichen Entscheidungen, die es in der Fast-schon-vierzig-Grad-Hitze zu treffen gilt: In der U-Bahn zum Termin oder mit dem Fahrrad? Für Ersteres sprach, den Körper nicht wahnsinnig viel zu beschäftigen, ihn also nicht weiter durch Halbsport zu erhitzen. Dagegen die Aussicht auf einen mäßig klimatisierten, vollgestopften Waggon und die längere Fahrzeit durch Berlin.

Das Fahrrad hatte den Nachteil, bewegt werden zu müssen. Aber: Die Route ging vom Prenzlauer Berg hinunter. Das versprach kühlenden Fahrtwind ohne Treten. Die obersten Hemdknöpfe aufgemacht und die Sache schien machbar. Minuten später stand ich im Flachen, auf dem Beton der berühmten Straße Unter den Linden im Herzen Berlins. Vor mir eine rote Ampel, über mir die Sonne, auf der Stirn der Schweiß.

Früher, so hatte ich es in einem historischen Bericht gelesen, säumten die Allee zwischen Brandenburger Tor und dem alten Stadtschloss etliche prachtvolle Linden. Ihre dichten Baumkronen sollen die Sicht auf die Häuser verdeckt haben, mit deren Fassaden die Crème de la Crème der Preußen vor der Welt angeben wollte.

Geblieben sind ein paar Bäume – zu allen Seiten umgeben von vier nahezu schattenlosen Fahrstreifen aus Asphalt, der sich in der Sonne aufheizt. Für die wenigen Autos, die über die schnurgerade Straße fuhren, hätte an diesem Nachmittag wohl eine Spur gereicht. Ein Königreich für einen Baum. Doch statt im Schatten stand ich in der Sonne, vor mir die rote Ampel, unter mir der heiße Asphalt – und träumte von einer Zeit, in der es Unter den Linden etwas mehr Linden gab.

christoph.zotter@diepresse.com

Nächste Woche: Inna Hartwich

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2022)

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