Unterwegs

Mein Wien - jeden Tag neu entdeckt

Als Fremder auf Heimaturlaub entdecke ich mein Wien jeden Sommer wieder neu.

Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen (oder mir zu widersprechen: der Kopf ist bekanntlich rund, damit die Gedanken die Richtung wechseln können): Wien im August ist großartig! Zumindest, wenn man meine Geburtsstadt als Tourist besucht und nicht Teerpappe auf Flachdächern abflämmen muss oder Autobahnabfahrten asphaltieren, Tierhälften über offenem Holzkohlegrill rösten und so. Als Wiener, der seit 13 Jahren im Ausland lebt, frohlocke ich jedes Jahr aufs Neue angesichts der Aussicht, ein oder zwei Wochen im Sommer hier zu verbringen.

Ja, ja, klar doch, möchte sich nun die böseste aller Zungen einmischen, Wien im August ist toll, denn Wien im August ist Wien ohne Wiener. Dem muss ich entschieden entgegentreten, denn ich juble über jeden meiner Studienkollegen und Bundesheerkameraden, die unerwartet mitten in der Urlaubszeit hier sind und Zeit haben für ein Tratscherl, ein (Eis-)Kaffeetscherl, ein Achterl oder ein Krügerl. Vor allem ermöglicht so ein Urlaub in der fremder werdenden Heimat, Altes, das man einst nie beachtet hatte, neu zu entdecken und zu schätzen. Ich bin in diesen Tagen oft stundenlang ziellos durch die Stadt flaniert, abseits der Hauptstraßen mit ihrem Konsum- und Mozartperückenschund. Ganz wichtig dabei: die Augen nach oben richten, zur Fassadenpracht (mit regelmäßigem Kontrollblick aufs Trottoir, des Hundenugats wegen, das die lieben Viecherln dort gern platzieren). An der eleganten Jugendstilanmut des Hauses „Zum silbernen Brunnen“ etwa, 1912 bis 1914 in der Plankengasse gebaut, ging ich jahrzehntelang achtlos vorbei. Schauen Sie sich das bei nächster Gelegenheit an; es lohnt sich.

oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2022)

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