Afghanistan

„Unter den Taliban kann man nicht in Würde leben“ 

Bei ihrer Protestaktion in Oslo: Kamosh machte auf inhaftierte Aktivistinnen aufmerksam.
Bei ihrer Protestaktion in Oslo: Kamosh machte auf inhaftierte Aktivistinnen aufmerksam.Reuters
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Die Frauenrechtsaktivistin Hoda Kamosh stellte sich den Taliban offen entgegen. Mittlerweile gibt sie afghanischen Frauen und Kindern im Ausland eine Stimme.

Als die Taliban im August 2021 erneut die Macht ergriffen, schrien sie am lautesten. Junge Frauen, die in der Zeit zwischen den Regimen zur Schule gehen und am öffentlichen Leben teilnehmen konnten und die nun um die erneute Einschränkung ihrer Rechte fürchteten. Eine von ihnen war Hoda Kamosh. Im Gespräch mit der „Presse“ erzählt die 26-Jährige von der Lage der Aktivistinnen vor Ort und welchen Umgang mit dem Regime sie sich vonseiten des Westens wünscht.

Die Presse: Im Jänner waren Sie Teil einer Delegation afghanischer Aktivistinnen, die mit dem Taliban in Norwegen an einem Tisch zusammenkamen. Dabei haben Sie die Taliban-Vertreter mit Bildern inhaftierter Aktivistinnen konfrontiert. Wieso haben Sie sich so selbst in Gefahr gebracht?

Kamosh: Ich wurde von der norwegischen Delegation eingeladen, an den Verhandlungen teilzunehmen, und wollte die Chance nutzen, um für Frauenrechte einzutreten - ganz besonders für jene Aktivistinnen, die sich damals im Gefängnis befanden. Aber es war frustrierend den Taliban zuzuhören, also stellte ich mich ihnen in den Weg, hielt die Bilder meiner Kolleginnen hoch. Danach war eine Rückkehr nach Afghanistan zu gefährlich.

Was frustrierte Sie an der Situation?

Die Taliban hatten bei diesem Treffen kein anderes Ziel, als sich internationale Anerkennung zuzusichern. Ihre Aussagen waren alles Lügen. Und es war frustrierend zu sehen, wie der Westen ihnen diese Lügen abgekauft hat. Ich hatte die Gräueltaten der Taliban bereits am eigenen Leib erfahren und wusste, was das neue Regime bedeutet.

Wie schaut die Lage für Frauenrechtsaktivistinnen in Afghanistan heute aus?

Ein offener Protest auf der Straße, wie zu Beginn, ist heute kaum noch möglich. Ich stehe mit vielen Aktivistinnen täglich via WhatsApp oder Messenger in Kontakt. Sie berichten davon, dass Menschen ganz gezielt umgebracht werden. In den ländlichen Städten findet man manchmal Leichen von Frauen, die einfach so liegen gelassen wurden. Wer etwas gesehen hat, spricht nicht, denn die Taliban machen klar, du könntest die nächste sein.

Eine weitere große Bedrohung für Frauen allgemein sind die Zwangsverheiratungen, insbesondere im Norden des Landes. Mädchen werden gezwungen, Kämpfer der Taliban zu heiraten, sie werden teilweise vor den Augen ihrer Familien vergewaltigt.

Haben diese Frauen die Möglichkeit, Afghanistan zu verlassen?

Manche Aktivistinnen haben, sobald sie etwas bekannter sind, zusätzlich zur Bedrohung durch das Regime auch noch mit häuslicher Gewalt zu kämpfen. Für sie wäre es besonders wichtig, das Land zu verlassen. Derzeit ist das nur schwer zu ermöglichen, viele Menschen im Ausland, so wie ich, kämpfen dafür.

Als die Taliban an die Macht kamen, habe sie Mäßigung versprochen. Diese Versprechen wurden gebrochen, dennoch schätzen viele das derzeitige Regime als moderater als jenes der Neunziger-Jahre ein. Teilen Sie diese Einschätzung?

Dem stimme ich nicht zu, obwohl es einen wesentlichen Unterschied gibt. In den Neunziger-Jahren kamen die Taliban an die Macht, ohne irgendjemandem irgendetwas zu versprechen. Sie konnten Tun und Lassen was sie wollten, haben Tausende Menschen massakriert und umgebracht.  Diesmal haben sie Mäßigung versprochen, sind dadurch erst an die Macht gekommen. Das schränkt sie ein. Anstelle ganze Communitys umzubringen, geraten Einzelpersonen ins Visier. Das Ganze geschieht versteckter. Die Taliban wissen, sie werden beobachtet. Also töten sie und lassen die Menschen verhungern, achten aber darauf, dass es niemand mitbekommt.

Sie haben es schon angesprochen: Viele Menschen in Afghanistan müssen derzeit Hunger leiden und sind auf Lebensmittelspenden angewiesen, Kindern droht die Unterernährung.

Ich habe mich immer dagegen ausgesprochen, wie Hilfsmittel nach Afghanistan geschickt und dort verteilt werden. Viele Organisationen, auch Frauenrechtsorganisationen, wüssten besser, welche Güter gebraucht werden und wie man sie gut verteilen kann. Geld, das über offiziellem Weg nach Afghanistan gelangt, landet in den Taschen der Taliban. Hilfsmittel werden an Familien verteilt, im Gegenzug dafür, dass sich ihre jugendlichen Söhne den Taliban anschließen.

Was erwarten Sie eigentlich vom Westen?

Jede Interaktion mit den Taliban vonseiten westlicher Länder oder der internationalen Gemeinschaft, die dem Regime eine Form der Anerkennung in Aussicht stellt, ist für mich ein Verrat an der Menschlichkeit. Unter den Taliban kann man nicht in Würde leben.

Wie schätzen Sie die politische Lage ein, sind die Taliban in einer stabilen Machtposition angekommen?

Es gab noch keine Form der internationalen Anerkennung für die Taliban, sie haben auch unter der Bevölkerung Afghanistans keinerlei Legitimität. Das ist für mich keine stabile Machtposition. Der Hunger und die allgemeine Versorgungskrise trifft auch die eigenen Reihen und führt zu Instabilität unter den Gruppen.

Es wird auch zu keiner Stabilität kommen. Im Rest der Welt ist, wie man so sagt, das Volk an der Macht. Nirgendwo kann es eine Regierung geben, die sich nicht um ihre Leute schert. Den Taliban ist die Bevölkerung egal, deswegen wird die Lage immer instabil bleiben.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Danke! Lassen Sie mich noch sagen: Mir ist Gerechtigkeit sehr wichtig, und sie sollte auf der ganzen Welt das Gleiche bedeuten, auch in Afghanistan.  Die Menschen dort dürfen nicht Gefangene ihres Regimes bleiben, sie sollen Gerechtigkeit erfahren und nicht vom Rest der Welt vergessen werden.

Zur Person

Hoda Kamosh (26) ist als Dichterin, Schriftstellerin und Journalistin tätig. Seit 2015 setzt sie sich für die Rechte von Frauen und Kindern ein. Vor der Machtübernahme durch die Taliban leistete sie an Schulen Aufklärungsarbeit.
Bei Verhandlungen mit Vertretern der Taliban Anfang des Jahres in Norwegen, forderte sie diese auf, inhaftierte Aktivistinnen frei zu lassen. Heute lebt Kamosh in Oslo, vom „Time Magazine“ wurde sie unter die 100 einflussreichsten Menschen 2022 gewählt.

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