Popkritik

Iggy Pop im Konzerthaus: Der Sohn der Atombombe lebt noch

WIEN: KONZERT IGGY POP
WIEN: KONZERT IGGY POP(c) APA/EVA MANHART (EVA MANHART)
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Radikal unmodern - und sehr wild und sehr laut: Der 75-jährige Iggy Pop zeigte im Konzerthaus, was er unter „Lust For Life" versteht.

Was für eine Parallelaktion: Während im Praterstadion der brave 31-jährige Ed Sheeran ein zweites Mal an die 65.000 Menschen um sein Lagerfeuerchen scharte, lud ein 75-Jähriger knapp 2000 Andersgesinnte ins Konzerthaus zum Exzess. James Osterberg heißt er, Iggy Pop nennt er sich, als „runaway son of the nuclear A-bomb“ besang und besingt er sich, und, nein, er ist gar nicht brav. Mögen Freunde der subtilen Melancholie, gestützt auf ein paar ruhigere Aufnahmen, noch so sehr hoffen, dass Iggy Pop im Alter zum Chansonnier wird, live enttäuschte er sie grob.

Es begann mit einigen Takten des tief nächtlichen Jazz seiner großartigen „Free Band“, dann stürzte er auf die Bühne. Zuckend und spuckend, bellend und gellend, offensichtlich in der Hüfte lahmend, doch zum Toben gewillt, ging er sofort zur Sache, in „Five Foot One“, einem Stück aus seiner Mid-life crisis, die auch schon wieder 43 Jahre her ist: Klein sei er, rief er, habe Schmerzen, eine Flasche Aspirin und einen Sack voller Witze. Und er wünsche so sehr, dass das Leben wie ein Pornoheft („Swedish magazine“) sei. Schrie's, riss sich das Sakko vom darunter nackten Leib, griff sich in die Hose . . . Wenn Kunst ein wilder Aufschrei gegen die Hinfälligkeit des Fleisches ist, dann ist Iggy Pop der größte Künstler. Die „Lust For Life“, die er in einem seiner populärsten Songs preist, enthält nicht die kleinste Prise Zufriedenheit, sie ist nackte Gier. Der brüllende Freejazz, mit der die zwei Bläser seine Rufe weiter anstachelten, kennt keine Wellness-Harmonie.

Auf „Death Trip“ im „Fun House"

So wurde auch der „Passenger“, zu dem so mancher im Publikum schon wohlig getanzt hat, zum Mantra der unwohlen Rastlosigkeit, zum Vorgeschmack auf den „Death Trip“, zu dem er gleich darauf rief. „We're going down in history“, hieß es darin, und, ja, das taten wir bei diesem Konzert. Zurück ins gar nicht spaßige „Fun House“, das er mit seinen Stooges 1970 eröffnet hat, schon damals mit schroffem Jazz als Ergänzung zum programmatisch stumpfen Rock dieser Band, Vorbild für Legionen von Punkbands, die aber die kompromisslose Angefressenheit dieser Urtypen kaum je erreichten. Aber auch zurück in die düsteren Visionen seiner Dreißigerjahre, die er in den Siebzigerjahren verlebte: „Mass Production“, bei dem er im Konzerthaus den Gefesselten mimte, ist ein trostloser Befund der Verwechselbarkeit aller Menschen geblieben.

Aller – außer dem Sänger selbst, diesem in vollem Bewusstsein des nahen Todes tobenden Ich? Hier ist ein Wesen, das der Welt seine Begierden entgegenbrüllt: Iggy Pops Kunst ist die konsequenteste Ausformung dieses großen Gestus des klassischen Pop. Damit ist sie heute radikal unmodern, in einer Zeit, in der viele Junge die bedrohliche Lage der Welt genau in diesem Gestus begründet sehen.
Vielleicht nicht ganz zu Unrecht. Aber sie wirkt noch, diese Kunst, und zwar gewaltig. Sie lebt. Iggy Pop lebt. Möge diese alte Haut diese alten Knochen noch lange überspannen.

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