Interview

Thomas Stelzer: „Der Staat ist keine Vollkaskoversicherung“

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Landeshauptmann Thomas Stelzer hat viele Maßnahmen gegen die Teuerung gesetzt – auch die Regierung zahlt viel, aber:

Die Presse: Herr Landeshauptmann, die Menschen sind politikverdrossen wie schon lang nicht mehr. Vor allem auf Bundesebene ist das Image im Keller. Haben Sie Verständnis, dass sich immer mehr Menschen genervt abwenden, weil immer wieder aufpoppende Skandale und die Reibereien zwischen den Parteien in Zeiten von Mega-Krisen unerträglich geworden sind?

Thomas Stelzer: Ich nehme die Verdrossenheit auch aus sehr vielen Gesprächen mit, und ich habe dafür auch Verständnis. Vieles, was hier auf Bundesebene gesagt wurde und was passiert ist, schmeckt auch mir nicht. Eine zentrale Aufgabe der Bundespolitik – über alle Parteigrenzen hinweg – ist es daher, das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen. Dafür braucht es auch wieder mehr Miteinander.


Braucht es eine neue Politikkultur? Auf Bundesebene zum Beispiel scheint die FPÖ weitgehend isoliert. In Oberösterreich dagegen umarmen Sie die FPÖ seit Jahren erfolgreich in einer Koalition.

Die FPÖ in Oberösterreich unterscheidet sich doch von der Bundes-FPÖ mit Kickl. In Oberösterreich arbeiten wir gut und konstruktiv mit der FPÖ zusammen.


Oberösterreich unterscheidet sich auch vom Bund und zu fast allen Ländern durch seine Proporzregierung. Hätte eine Proporzregierung nicht auch einen Charme für Österreich, weil alle zusammenarbeiten müssten? Oder ist Oberösterreich bei dieser Regierungsform ein Auslaufmodell?

Wir gehen in Oberösterreich konsequent den Weg des Miteinanders. In der Landesregierung sind mit ÖVP, FPÖ, SPÖ und Grünen die vier stimmenstärksten Parteien vertreten. Diese Form der Gemeinschaftsregierung hat sich gerade auch in politisch turbulenten Zeiten bewährt.

Impressum

Dieses Interview erscheint im Rahmen von „Austria's Leading Companies“. Die Beilage wird von der „Presse“-Redaktion in voller Unabhängigkeit gestaltet und erscheint in Kooperation mit dem KSV1870 und PwC Österreich. ALC wird unterstützt von A1, Casinos Austria, Commerzbank, DONAU Versicherung und Wiener Städtische Versicherungsverein, Škoda, TÜV AUSTRIA sowie Zero Project.

Redaktion: Hans Pleininger, hans.pleininger@diepresse.com
Autoren: Christian Scherl, Matthias Auer
Grafik: Martin Misarz
Infografik: Gregor Käfer
Content Management: Isabella Karner


Wie lustig ist es derzeit, ÖVP-Landeschef zu sein? Die Performance der Volkspartei ist alles andere als großartig – und Sie sind wahrscheinlich froh, erst in fünf Jahren wieder eine Landtagswahl zu haben.

Man kann sich die äußeren Umstände oder Rahmenbedingungen bei einer Wahl nicht aussuchen. Man hat Programme, Ziele und Antworten auf aktuelle Herausforderungen im Angebot, und die Menschen müssen letztlich entscheiden, wem sie die Verantwortung, ein Land zu führen, zutrauen. Ich freue mich, dass uns und mir diese Verantwortung anvertraut wird.


Bei der Bundespräsidentenwahl am 9. Oktober stehen sieben Männer zur Wahl – aber keine Frau und auch kein ÖVP-Kandidat oder -Kandidatin. Finden Sie das gut? Hat die Volkspartei keine tollen Frauen in ihren Reihen, die Österreich repräsentieren können und wollen?

Die Volkspartei hat sehr viele kompetente Frauen. Jede Partei kann, muss aber nicht unbedingt jemanden für diese Persönlichkeitswahl aufstellen. Und wir sind als ÖVP zur Einschätzung gelangt, dass wir eben keinen Kandidaten ins Rennen schicken.


Die Menschen und die Wirtschaft kämpfen aktuell mit zwei Problemen massiv: den Energiepreisen und der Teuerung. Wird es Unterstützungen, wie extra Strom- und Heizkostenzuschüsse oder andere Einmalzahlungen, seitens des Landes geben? Oder müssen und werden die Beihilfen der Bundesregierung ausreichen?

Wir haben bereits Anfang des Jahres als eines der ersten Länder Hilfen gegen die Teuerungen auf den Weg gebracht. Wir haben den Heizkostenzuschuss erhöht, die Wohnbeihilfe ausgeweitet und mit dem Oberösterreich-Plan Baukostensteigerungen für neue soziale Wohnungen abgefedert. Außerdem haben wir, anders als andere Bundesländer, die Gebührenerhöhungen ausgesetzt. Darüber hinaus gibt es bis Ende des Jahres eine Strompreisgarantie beim landeseigenen Stromanbieter Energie AG.

Was halten Sie von den aktuellen Licht-aus-Diskussionen, also darüber, Häuser und Denkmäler kürzer zu bestrahlen, Heizschwammerl- und Weihnachtsbeleuchtungsverbote auszusprechen etc.?

Jeder kann einen aktiven Beitrag zum Energiesparen leisten. Beim Land Oberösterreich etwa werden sämtliche nicht sicherheitsrelevanten Außenbeleuchtungen täglich um 20 Uhr abgeschaltet und erst in der Früh bei Betriebsbeginn wieder aktiviert. Dies betrifft unter anderem Reklametafeln oder Fassadenbeleuchtungen.

Viele Menschen und die Wirtschaft empfinden die laufenden Energiespartipps der Regierung, besonders jene der Energieministerin, als Bevormundung. Bei den hohen Preisen schaut eh jeder, wie man Energie sparen kann – das gebietet ja der Hausverstand . . .

Eine effiziente Kommunikation ist in diesem Bereich schon sehr wichtig. Auch wir als Land machen eine Informationsoffensive für Haushalte, Gemeinden, Betriebe und Vereine.


Die Industrie, im Exportland Oberösterreich der wichtigste Wirtschaftssektor, stöhnt unter der Energiepreis-Explosion. Jeder zweite Industriebetrieb ist massiv betroffen. Jedes vierte Unternehmen schließt einen Produktionsstopp in den nächsten Monaten nicht mehr aus. Der Hilferuf der Industrie ist seit Wochen laut. Aber man hat das Gefühl, er wird in der Politik nicht gehört.

Uns sind die massiven Belastungen bewusst – erst vor Kurzem haben wir beim OÖ. Standortdialog 2022 gemeinsam mit oberösterreichischen Leitbetrieben sowie den Spitzen von Wirtschaftskammer Oberösterreich und Industriellenvereinigung Oberösterreich zentrale Maßnahmen besprochen. Diese müssen aber vor allem auf nationaler bzw. EU-weiter Ebene gesetzt werden – wie beispielsweise eine Strompreiskompensation. Dafür setzen wir uns seit Wochen intensiv ein.


Wenn die Industrie zusperrt – muss man eine Rezession befürchten, die Oberösterreich dann wahrscheinlich heftig treffen würde? Wie hoch ist dieses Gefahrenpotenzial?

Eine Rezession wäre für alle schlimm. Für uns ist klar: Oberösterreich will ein Land der Arbeit und des Wohlstandes bleiben.


Kann und soll der Staat – und das Land Oberösterreich – bei jeder großen Krise alles und jeden retten? Seit drei Jahren wird von allen Seiten nach finanzieller Unterstützung gerufen – und der Staat schüttet kräftig das Füllhorn aus. Ist das vernünftig?

Es ist in diesen schwierigen Zeiten wichtig, dort zu helfen, wo es notwendig ist. Der Staat kann aber nie Vollkaskoversicherung sein.


Die Staatsschulden der Republik summieren sich bald auf 350 Milliarden Euro. Und auch in Oberösterreich ist die Landesverschuldung kräftig in die Höhe gegangen. Von der vor Corona ausgerufenen Schuldenbremse ist nichts übrig geblieben. Wie sehr belastet die aktuelle Energiekrise das Landesbudget? Wann kann man wieder an Sparen denken?

Selbstverständlich gibt es negative Auswirkungen auf das Landesbudget. Aber angesichts der enormen Teuerungen, denen unsere Landsleute gegenüberstehen, ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um falsch zu sparen.


Angenommen das Gas droht uns im neuen Jahr auszugehen, wovon manche bereits reden: Was passiert dann? Muss und soll man Industriebetriebe kurzfristig vom Netz nehmen, um Haushalte und allgemeine Einrichtungen wie Schulen weiter zu heizen? Oder gibt es einen Notfallplan für beides, Industrie und Allgemeinheit?

Dafür muss das zuständige Ministerium rechtzeitig effiziente Notfallpläne vorlegen und alternative Gaslieferungen sicherstellen.


Die Wien Energie ist kurzfristig durch hohe finanzielle Sicherstellungen in Schwierigkeiten geraten – und es soll auch vielen anderen europäischen Energieversorgern Ähnliches drohen. Wie sicher ist die Energie AG OÖ, bei der das Land Mehrheitseigentümer ist, da aufgestellt?

Trotz der angespannten Lage im energiewirtschaftlichen Gesamtsystem besteht bei der Energie AG derzeit keine Notwendigkeit der Beantragung von Staatshilfen.


Bei den Entlastungspaketen wurde und wird kritisiert, dass sie nur langsam zur Auszahlung kommen und viel Bürokratie verschlingen. Bei der Teuerung des täglichen Lebens könnte man eine umgehende Reduzierung der Mehrwertsteuer auf z. B. fünf Prozent beschließen – so wie man das in der Pandemie bei der Gastronomie gemacht hat. Das hätte sofort Wirkung und hilft jedem. Würden Sie so einen Vorschlag unterstützen?

Jeder Vorschlag, der hilft, Arbeitsplätze zu sichern und die Landsleute zu entlasten, sollte von Experten auf Wirkung und Umsetzbarkeit überprüft werden.


Welche Entlastungsmöglichkeiten können Sie sich vorstellen, wie die Politik den Menschen bei der Preisexplosion schnell unter die Arme greifen kann? Mittlerweile geht es ja nicht mehr nur um die Mindesteinkommensbezieher, sondern auch um den steuerzahlenden Mittelstand, der gerade unter der Teuerungslast wegbricht.

Es kommt die Strompreisbremse, für die sich die Landeshauptleute eingesetzt haben. Die kalte Progression wird abgeschafft. Mit dem Klimabonus und weiteren Maßnahmen ist Österreich im EU-Vergleich bei den Unterstützungen im Spitzenfeld. Es müssen weitere Schritte folgen, aber klar ist wie gesagt auch, der Staat ist keine Vollkaskoversicherung.


Teuerung und Energiekrise verdrängen das Coronathema aus unserem Sichtfenster. Sollten wir uns für den Herbst wappnen? Oder ist Covid abgesagt und soll wie eine Grippe behandelt werden? Wie hat sich OÖ auf einen möglichen Coronawinter vorbereitet?

Auch wenn die zentralen Zahlen – wie beispielsweise die Intensivbettenbelegung – auf niedrigem Niveau sind, laufen bei uns im Land natürlich die Vorbereitungen auf die Herbstwelle. Dazu machen wir ein eigenes Oberösterreich-Abwasserscreening, um Trends frühzeitig zu erkennen. Weiters legen wir den Fokus auf flächendeckende Impfangebote inklusive einer oberösterreichischen Impfkampagne, die seit Juli läuft. Und wir haben Simulationsforscher Niki Popper engagiert, der regelmäßige Prognoserechnungen für Oberösterreich durchführt.


Oberösterreich ist auch ein Gesundheits- und Tourismusland: Die Skigebiete und unsere (Landes-)Thermen zu betreiben ist sehr energieintensiv. Sollen wir darauf heuer verzichten und alles zusperren?

Wir müssen miteinander alles daransetzen, so etwas zu verhindern.

Zur Person

Thomas Stelzer (55) ist seit April 2017 Landeshauptmann von Oberösterreich und Obmann der ÖVP Oberösterreich. Der Magister der Rechtswissenschaften (Johannes Kepler Universität) ist seit 1991 in der Politik – anfangs als Linzer Gemeinderat, 1997 wechselte der Linzer als Abgeordneter in den oberösterreichischen Landtag. Er wurde Geschäftsführer der ÖVP Oberösterreich und dann Klubobmann. Im Jahr 2015 wurde Stelzer Landeshauptmann-Stellvertreter, bis er dann zwei Jahre darauf dem Langzeit-Landeshauptmann Josef Pühringer nachfolgte.
Stelzer ist verheiratet und Vater eines Sohnes und einer Tochter.

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