Unterwegs

Flüchtiges Vergnügen

Der Krieg macht uns die Ukraine so vertraut wie nie zuvor – obwohl wir ihr so weit wie lange nicht sind.

Ich war bisher nur einmal in meinem Leben in der Ukraine. Das war allerdings ein flüchtiges Vergnügen, denn ich stand, im Sommer vor fünf Jahren, am Dreiländereck Polen-Slowakei-Ukraine in den Beskiden. Schön war es da oben auf dem Berglein, der Blick in die Täler ließ mich keine großen Unterschiede zwischen den beiden EU-Staaten und dem sich schon damals mit dem imperialistischen Übergriff der Moskowiter abmühenden Land der Ukrainer erkennen.

Irgendwann, so dachte ich mir, wird das alles hier kraft des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Austausches (gegrüßt wurde unter den zahlreichen Wandersleuten in allen Sprachen des Habsburgerreichs) wieder ein Kulturraum sein, in dem Grenzen höchstens für die Festlegung der Eigentumssteuer eine Rolle spielen. Gerne hätte ich damals einen Sprung rüber nach Lviv/Lwów/Lemberg gemacht, in Przemyśl kraxelte unsere Tochter auf dem drolligen Denkmal für den Soldaten Schwejk herum.

Heute ist Przemyśl, die alte Festungsstadt, vor allem als erster Zufluchtsort für all die armen Ukrainer bekannt, die vor dem Bomben- und Raketenterror der Russen flüchten müssen. Nach Lemberg komme ich bis auf Weiteres wohl nur mit dem Finger im Atlas (oder beim Lesen von Philippe Sands' Buch „Rückkehr nach Lemberg“). Ich höre täglich im Radio die Namen ukrainischer Städte, die ich zuvor nicht kannte, bei denen mir aber nun das entsetzliche Schicksal ihrer Einwohner unter die Haut geht. Wann werden wir Cherson, Mariupol, Tschernihiw, Odessa je bereisen können? Ich hoffe, bald: um unserer, vor allem aber um der Ukrainer Willen.

oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.10.2022)

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