Konzerthaus

Ein Star am Cembalo und die kleinen Freuden

Jean Rondeau spielte beim Auftakt seiner Porträtreihe mit dem RSO unter Marin Alsop.

Ein Cembalist als YouTube-Star? Das gibt es wirklich, Jean Rondeau erreicht im Internet ein Millionenpublikum. Und das nicht mit Blödeleien wie so viele andere Stars auf der Plattform, sondern mit hochwertigen Videoaufnahmen von Bach oder Royer. Für die Beliebtheit des Cembalos ist das ein Glücksfall. Dass dieses einst so gut wie ausgestorbene Instrument wieder Raum im Konzertleben findet, ist besonders Wanda Landowska zu danken: Die polnisch-französisch-jüdische Tastenkünstlerin verhalf ihm in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur Renaissance und inspirierte zeitgenössische Komponisten, Cembalowerke für sie zu schreiben.

Wie Francis Poulenc, dessen „Concert champêtre“ Jean Rondeau für den Auftakt seiner Konzerthaus-Reihe auswählte. Poulenc komponierte es eigentlich für Landowskas massives Pleyel-Cembalo mit Metallrahmen und schwerem Sound. Es wirkt fast ironisch, dass Rondeau stattdessen auf einem wunderschönen tschechischen Spätbarock-Nachbau spielte, dessen scharfer, klarer Klang geschickt elektronisch verstärkt wurde. Als hätte man hier Poulenc korrigiert: Nein, nein, ein echtes Cembalo muss so klingen. Poulenc hätte aber wohl kaum etwas dagegen gehabt, spielte er das Konzert doch selbst auf einem Flügel ein. Seine Verweise auf Rameau und Couperin kamen auf dem barocken Instrument ohnehin besser zur Geltung; es war vielleicht nicht die historisch korrekte, aber sicher die klangschönere Wahl. Rondeaus elegant-dynamische Interpretation legte die Frage nahe, warum dieses spannende Werk an diesem Abend zum allerersten Mal im Konzerthaus erklang.

Sternstunde der frühen Moderne

Wer im Sommer in Salzburg Béla Bartóks „Herzog Blaubarts Burg“ erlebt hat, dem kamen die großen Klangausbrüche seiner Suite „Der holzgeschnitzte Prinz“ bekannt vor. Und auch die Intensität, mit der Marin Alsop an den frühen, noch spätromantisch beeinflussten Bartók heranging. Eine Sternstunde der frühmodernen Musik. Wird es eigentlich genug geschätzt, dass Wien mit dem RSO einen herausragenden Klangkörper gerade auch für die Musik des 20. Jahrhunderts hat?

Alsop war Schülerin Leonard Bernsteins, wenn sie seine Musik dirigiert, ist es vergleichbar mit Bruno Walters Mahler-Interpretationen. Die zweite Hälfte des Konzerts widmete sie ihrem Lehrer, die Sängerinnen und Sänger der Baltimore Choral Arts Society und der Wiener Singakademie sorgten mit den „Chichester Psalms“ für brachiale Gänsehautmomente und einen versöhnlich-harmonischen Schluss. Den ließ Alsop aber nicht so stehen, an den Schluss setzte sie das Finale von Bernsteins „Candide“, dieser bitter-ironischen Voltaire-Operette. Statt von Eden zu träumen, soll man sein Glück in den kleinen Freuden des Lebens suchen, sang der Chor. Oder Alsops RSO in dieser Topform zuhören, hätte man gerne ergänzt.

Im Radio: 28. Oktober ab 19.30 Uhr auf Ö1.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2022)

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