Urbanität

Das Parterre macht die Stadt

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Belebte Erdgeschoßzonen sind ein wesentlicher Faktor für das Entstehen von städtischem Lebensgefühl. Doch diese sind nicht selbstverständlich.

Spaziert man durch die Haupteinkaufsstraßen von Städten, scheint die Welt meist heil: Geschäfte, Gastronomiebetriebe, Banken und Dienstleister bevölkern die Erdgeschoße. Doch nur ein paar Schritte davon entfernt, ist das Bild ein anderes: Immer öfter stehen in den Nebenstraßen Flächen leer, in manchen Straßenzügen gilt das für alle. „Leerstand ist die höchste Stufe der Verödung“, sagt dazu Betül Bretschneider, Eigentümerin von Urban Transform Research Consulting.

Wobei nicht nur der Leerstand selbst dazu beiträgt: Um diesen zu vermeiden, wird bei manchen Neubauprojekten bereits auf qualitativ hochwertige Erdgeschoßzonen verzichtet. „Aber auch Garagen, die Ein- und Ausfahrten von Tiefgaragen, die sich dann hier befinden, und nicht zuletzt die auf der Straße parkenden Autos tragen zur Verödung bei.“

Stadträume

Dies gilt allerdings nicht nur für die betroffenen Häuser, sondern auch für Straßen, Grätzel und somit die Stadt. „Parterreräume machen die Stadträume aus. Die Wahrnehmung der Stadt wird durch sie geprägt“, erklärt Bretschneider. Auch Romina Jenei, CEO von Regio-Plan Consulting, stößt in dieses Horn: „Im Straßenraum ist das Erdgeschoß jene Zone, die vor allem Fußgänger und Radfahrer wahrnehmen.“ Gleichzeitig spielt sich, so Bretschneider, hauptsächlich hier die Funktionsvielfalt der Städte ab. Oder anders gesagt: Gibt es zu ebener Erd' kein Leben, drohen Städte zu monofunktionellen Schlafstädten ohne urbanes Lebensgefühl zu werden.

Handel setzt auf A-Lagen

Die Gründe, die dazu führen, dass das Erdgeschoß an Attraktivität verliert, sind vielfältig: Neben der Veränderung von Verkehr und Mobilität sind dies das geänderte Konsumverhalten der Bevölkerung und die damit verbundenen Veränderungen im Handel. „Seit acht Jahren nehmen die Erdgeschoßflächen im Handel ab. Dieser konzentriert sich auf A-Lagen“, sagt Jenei. Nicht zuletzt deshalb, da auch Einkaufen als Freizeitfaktor zunehmend an Bedeutung verliere.

Umwandlung in Wohnraum

Um die Abwärtsspirale zu bremsen und Erdgeschoßen neues Leben einzuhauchen, seien somit Kreativität und Individualität gefragt, ist Jenei überzeugt. „Man kann die Zonen etwa durch Wohnen beleben.“ So könnten ehemalige Gewerbeflächen in Wohnungen umgewidmet und umgewandelt werden. „Das funktioniert nicht überall, die Umwandlung in Wohnraum muss individuell angegangen werden“, sagt die Regio-Plan-Geschäftsführerin.

AUF EINEN BLICK

Aber auch Büros, Ordinationen sowie Dienstleister sollten als potenzielle Nutzer in Betracht gezogen werden. Viele davon seien aktuell in den oberen Etagen der Häuser zu finden. „Übersiedeln sie ins Erdgeschoß, könnte dadurch wiederum wertvoller Wohnraum geschaffen werden“, so Jenei, die auch Unternehmen aus den Bereichen Soziales, Kultur und Kreativwirtschaft als Zielgruppe nennt. In den Erdgeschoßzonen spielt sich die Funktionsvielfalt von Städten ab. Entwicklungen im stationären Handel (weniger Flächenbedarf, Trend zu A-Lagen) und bei Immobilienprojekten (vielfach Verzicht auf hochwertige Erdgeschoßflächen) lassen viele Straßenzüge öde wirken. Mögliche Lösungen: neue Nutzer (Büros, Ordinationen, Dienstleister, Citylogistik) sowie mehr Fokus auf die Gestaltung des Straßenraums (mehr Grün, verkehrsberuhigter).

Dasselbe gelte für Nutzung als Lager für Citylogistiker, Abholstationen oder Lieferservices. „Vermieter müssen sich mit anderen Nutzungen anfreunden“, sagt Jenei. Doch nicht nur die Eigentümer der Immobilien sind gefordert. „Auch die Gestaltung des Straßenraums ist für die Belebung der Erdgeschoße wichtig“, weiß Bretschneider. Je grüner und verkehrsberuhigter diese wären, desto besser: „Die Zonen werden dadurch attraktiver, und das Interesse daran steigt.“

Belebung wird gefördert

Den Leerständen – und damit der Verödung von Geschäftsstraßen – will auch die Wirtschaftsagentur Wien den Kampf ansagen: „Wir bereiten aktuell ein Projekt zur Belebung von Erdgeschoßzonen vor, das in den nächsten Monaten startet“, berichtet Uschi Kainz, Sprecherin der Wirtschaftsagentur.

Bereits seit Längerem unterstützt die Wirtschaftsagentur mit dem Förderprogramm „Geschäftsbelebung jetzt!“ Unternehmen, die in leer stehende Geschäftslokale im Erdgeschoß ziehen beziehungsweise diese für eine Zwischennutzung anmieten möchten. Dabei werden die Kosten für bauliche Maßnahmen und Anlagen, die funktionell mit den Räumlichkeiten verbunden sind, gefördert, etwa Heizung oder Fußboden. Die Förderquote beträgt maximal 50 Prozent der Investitionen, die maximale Fördersumme liegt bei 25.000 Euro pro Projektstandort.

>> Der Leerstand und seine (Un-)Möglichkeiten [premium]

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