Schumann - von Barenboim

Cover (DG)
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Daniel Barenboims runder Geburtstag wird immerhin mit einer CD-Neuerscheinung gefeiert.

Soeben ist auf Deutsche Grammophon eine Gesamtaufnahme der Symphonien Robert Schumanns in den Handel gekommen: Daniel Barenboim dirigiert die Berliner Staatskapelle. Das ist, um es vorwegzunehmen, jene Gesamtdarstellung dieser Vierergruppe, die den vordersten Platz in den Charts einnehmen sollte. Nur eine zweite gibt es, die ihr inhaltlich und spieltechnisch gleichkommt: Jene, die vor nicht einmal drei Jahren bei Sony erschien, musiziert von der Staatskapelle Dresden, dirigiert von Christian Thielemann.

Deutsche Romantik

Da gilt es jetzt auszuholen, denn die neuen CDs verdienen eine eingehende Würdigung und die ist unter den gegebenen Auspizien von der Realität der Kulturpolitik nicht zu trennen. Barenboim ist krank. Er wird in absehbarer Zeit nicht dirigieren können. Die Schumann-Aufnahmen sind demnach die einzigen musikalischen Zelebrationen seines runden Geburtstags, der eigentlich mit der Premiere einer Neuinszenierung von Wagners „Ring des Nibelungen“ an der Berliner Lindenoper gefeiert werden sollte. Barenboim musste absagen. Den „Ring“ dirigierte - Christian Thielemann. Das Publikum und auch viele Orchestermitglieder feierten den Einspringer mit frenetischem Beifall. Die Berliner Kommentatoren, dem gebürtigen Berliner Thielemann nicht wohlgesinnt, wetzen schon die Messer. Es scheint doch ziemlich eindeutig, wen Musikfreunde und Orchester mehrheitlich zum Barenboim-Nachfolger küren würden, wenn sie dürften . . .

Was passiert in Berlin?

Das ist nun recht pikant, denn Barenboim und Thielemann mögen einander, wie es allgemein heißt, nicht besonders. Und doch sind sie einander in Fragen der musikalischen Ästhetik näher als sie selbst vielleicht gern zugeben würden. Und jetzt kommt wieder Schumann ins Spiel - und das gleich doppelt.
Erstens, wie schon gesagt, die Interpretation der Symphonien durch Barenboim findet lediglich in Thielemanns Dresdner Alben eine ernsthafte Konkurrenz. Zweitens: Die soeben behauptete künstlerische Wahlverwandtschaft der beiden scheinbar so unterschiedlichen Dirigenten lässt sich just an ihren Schumann-Darstellungen gut demonstrieren. Beide hegen eine tiefe Liebe zur deutschen Romantik und wissen um die reiche, zuletzt vollkommen verschüttete Aufführungstradition dieser Musik. Beide hat es aus diesem Grund auch nach Bayreuth gezogen...

Romantischer Stil

Beiden ist es gelungen - jeweils gegen (im Falle Thielemanns nicht nur ästhetische) Widerstände - die romantische Spieltradition in neue Bahnen zu lenken, für unsere Zeit tauglich zu machen. Im Äon der sogenannten „historisch informierten Aufführungspraxis“, unter deren Fittichen so viel Unfug getrieben und als richtungsweisend bezeichnet wird, darf man das als enorme Leistung bezeichnen. Zumal für die Schumann-Interpretation sind die Ergebnisse dieser mutigen Beharrungsbeschlüsse zweier umjubelter Kapellmeister unschätzbar wichtig. Es mangelte ja in der jüngeren Vergangenheit nicht an Versuchen, auch Schumanns Symphonien nach Art der politisch korrekten Händel-Exegese mit knallenden Paukenschlägen und sonstigen Originalklang-Konfetti zu garnieren; unter diesem künstlich historisierenden Gehabe mochte ein (notorisch zu klein besetztes) Ensemble walten wie es wollte, die Rezensenten bezeichneten es als aufregend und aufschlussreich.

Im Banne E. T. A. Hoffmanns

Keine einzige dieser Darstellungsversuche reicht aber, bei Licht betrachtet, auch nur annähernd an jene Ergebnisse heran, die Thielemann vor drei Jahren und Barenboim soeben präsentiert haben: In beiden Fällen malen die deutschen Traditionsorchester mit ihren Ölfarben prächtig klingende Gemälde, die Schumann dort verorten, wo er hingehört: in die Zeit Caspar David Friedrichs und Novalis’ - aber auch, und das wird in beiden Fällen unüberhörbar, E. T. A. Hoffmanns. Unter der Schönheit und Makellosigkeit der Oberfläche brodelt und gärt es nämlich gespenstisch; das kann in seiner eindrucksvollen Spannung aber nur offenbar werden, wenn im ersten Augenblick der schöne Schein gewahrt bleibt.
Mehr noch als Thielemann in Dresden, setzt Barenboim in Berlin bei aller über Jahrzehnte der gemeinsamen Arbeit mit der Staatskapelle gewachsenen Klangkultur auf äußerste Transparenz des Stimmengewebes und lässt Nebenstimmen, quasi Aperçus und Bonmots in den sonst im dicken Schönklang verrührten Mittelstimmen, deutlich hervortreten - deutlich, aber nicht den musikalischen Fluß störend. Der bestimmt bei ihm, dem geschickten Dramaturgen, noch unbedingter als bei dem penibel auf rhetorische Details bedachten Thielemann den Gang der Handlung.

Zwei Höchstleistungen

Bemerkenswert, dass nun innerhalb kurzer Frist zwei symphonische Schumann-Gesamtaufnahmen zur Verfügung stehen, wie es in dieser Geschlossenheit in der Vergangenheit keine gegeben hat.
Blicken wir zurück: Otto Klemperers in ihrer Unerbittlichkeit beeindruckende Darstellungen der vier Werke mit dem New Philharmonia Orchestra entstand in der Spätphase dieses Interpreten, belastet durch äußerst bedächtiger Tempi, die des öfteren den Zusammenhalt größerer Formteile beeinträchtigen. Herbert von Karajans für die einstige DG-Edition „Die große Symphonie“ entstandene Einspielung leidet wiederum unter der Mangelnden Empathie, die dieser Dirigent für die ersten drei Nummern des Zyklus empfunden haben dürfte. - Legendär sein „Nie wieder“ zum Konzertmeister der Berliner Philharmoniker, als im Zuge der Aufnahmesitzungen eine Aufführung der C-Dur-Symphonie in der Philharmonie stattfand. - Karajans Schumann-Symphonie blieb die (der Zählung nach) Vierte, deren Geheimnisse er unvergleichlich dringlich und subtil zu erzählen wusste.

Furtwängler, Karajan, Schuricht

Womit wir bei den Einzelaufnahmen wären, die aus dem mittlerweile ein Jahrhundert zurückreichenden Schallplatten-Erbe herausragen. Da bleibt freilich von der Vierten die Darstellung Wilhelm Furtwänglers unverzichtbar, auf die sich Karajan bezog, wenn er jene von diesem Dirigenten beschworenen unfassbaren Regionen zu beschreiben versuchte, die Hofmannsthal mit den Worten „Gibt es kein Hinüber? Sind wir schon da“ besingen ließ. In Wahrheit hat Karajan den im tiefsten Wortsinn transzendenten Übergang vom dritten in den vierten Satz der d-Moll-Symphonie schon in seiner ersten Plattenaufnahme mit den Berliner Philharmonikern (EMI) atemberaubend klingen lassen und hat ihn später (festgehalten auf DG) etwa mit den Wienern noch intensiviert. Auf Furtwänglers Spuren!
Ebenso gehört haben sollte man aber, a propos "deutsche Tradition", was ein anderer Meisterinterpret deutscher Romantik, Carl Schuricht, in Paris mit dem dortigen Konservatoriumsorchester im Falle der „Rheinischen“ geschafft. Diese Es-Dur-Symphonie ist in Wahrheit Schumanns letzte und am gefährlichsten auszubalancierende, denn hier verschmelzen große symphonische Ambition in der Beethoven-Nachfolge mit der suitenartigen Miniaturen-Finesse von Schumanns frühem Klavierwerk. Schuricht räumt hier bereits in den ersten Takten mit allen Missverständnissen auf: da klingt nichts pastos, weihevoll, da herrscht ein Schwung und vorwärtstreibender Elan.

Eben dieser Elan eignet auch den beiden jüngsten Aufnahmen aus Berlin und Dresden. Und das von der Ersten bis zur Vierten Symphonie, gespeist aus dem Wissen um die Spieltradition und den Gehalt dieser Musik. Verehrer des vielseitigen Daniel Barenboim können mit der Neuerscheinung jedenfalls den Geburtstag des Künstlers feiern.

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