Musikverein

Beethoven, laut gespielt statt neu bewertet

Herreweghe, der revolutionäre Dirigent? Bei der Missa solemnis im Musikverein hörte man davon wenig.

Oh, Champs-Élysées! So sangen einst alle einen Schlagertext nach. Und so seufzte man am Samstagabend im Musikverein, nach dem Auftritt des Orchesters von Philippe Herreweghe, das nach der Prachtallee benannt ist – etwas enttäuscht, aber doch froh über den Hauch Paris im Wiener Winter. Wobei das Ensemble momentan gar nicht dort residiert: Vom kleinen Poitiers aus brach es auf die Tournee auf. Paris ist nicht unter den neun Städten, die es mit Beethovens Missa solemnis beschenkt, auch nicht bei der vorigen und der nächsten Reise. Hat der Meisterdirigent genug von Frankreichs Hauptstadt? Oder umgekehrt?

Die ursprüngliche Mission des Orchesters ist seit der Gründung 1991, altbekannte Werke grundlegend neu zu bewerten. An diesem Abend war davon wenig zu hören. Beethovens selbst ernannt größtes Werk geriet wohlklingend, aber oft laut und nicht gerade konturenreich.

Würdevoll im Schlabberhemd

Es ist sicher absurd, in jedem neuen Jahrzehnt grundlegend neue, zugleich aber auch ,historisch informierte‘ Lesarten der Standardwerke zu erwarten. Die Spielregeln des Originalklang-Markts suggerieren aber nun einmal, dass dies möglich sei. Und was Herreweghe hier präsentierte, wäre wahrscheinlich auch in den Neunzigern nicht als bahnbrechend durchgegangen. Stattdessen strahlte die Musik eine ähnlich würdevolle Gemütlichkeit aus wie der Dirigent selbst in seinem schwarzen Schlabberhemd. Ob die wilden Orchesterrevolutionäre unserer Zeit, wie Raphaël Pichon und Teodor Currentzis, in 20 bis 30 Jahren auch einmal so liebenswürdig wirken werden?

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