Der Skiort Saas-Fee im Schweizer Kanton Wallis: Umgeben von Viertausendern, verewigt von George Michael.
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Reportage

Im Dorf von "Last Christmas": Und ewig grüßt die Föhnfrisur

Im Dorf Saas-Fee in der Schweiz wurde jener Videoclip gedreht, der seither (zwangsweise) die Weihnachtszeit begleitet. Die Bewohner erinnern sich an skurrile Tage während der Drehzeit. Doch eine richtige Verbindung zu seinem größten Auftritt kann der Skiort bis heute nicht herstellen.

Das erste Gesuch flatterte 1898 ein. Die kühne Idee: eine Eisenbahn! Die sollte die Maulesel ablösen, die hier Einheimische und Touristen durch die Bergwege lotsten, bis hinauf nach Saas-Fee, die Perle der Alpen, so jedenfalls die Eigenbezeichnung des Gletscherdorfs. Die Saas-Feer lehnten das Gesuch ab. 1905 das nächste Gesuch, jetzt für eine Standseilbahn. Abgelehnt. 1936 wieder ein Gesuch. Abgelehnt.

Was die Saas-Feer stattdessen wollten: eine Straße. Es war ein langer Kampf, davon zeugen Zeitungsartikel aus den 1940er-Jahren, von „Verzweiflungsschreien aus Saas-Fee“ ist da die Rede. Und so war es ein großes Fest, als die Straße im Juli 1951 eingeweiht wurde, die Einwohner fanden sich feierlich gekleidet am Dorfplatz ein, blickten kollektiv auf die asphaltierte Errungenschaft und freuten sich auf „neue Horizonte“. Nun hatten sie endlich ihre Straße – aber eine Sache wollten sie auf keinen Fall: Autos.

Saas-Fee war 1951 autofrei, Saas-Fee ist heute autofrei, und eigentlich war Saas-Fee auch im Oktober 1984 autofrei, aber der Dorfjeep, den ein Einwohner besaß, durfte sich in diesen Tagen der Moonboots ausnahmsweise durch die engen Straßen quetschen.

Richtigen Spaß hatte dabei niemand. Weder der Fahrer, der sich einst über George Michaels Benehmen im Auto beschwerte, noch George Michael, der lieber in einer Limousine sitzen wollte, und am allerwenigsten die Einwohner, deren beschauliches Dorf plötzlich einem Zirkus glich. Über den Dreh von „Last Christmas“ in Saas-Fee gibt es einige Geschichten, die meisten sind so skurril wie das Video selbst. Doch die beste Überlieferung muss diese sein: Das Chalet, das zu Beginn des Clips eingespielt wird, hat kein Mitglied der Crew je von innen gesehen. Denn niemand im Dorf fand die Schlüssel für das leer stehende Haus.

Der Wham!-Walk

„Last Christmas“ ist seit drei Jahrzehnten die Konstante der Weihnachtszeit, wer diesem Lied entkommen will, muss auf den Mars ziehen. Es war also hier in den Alpen, wo die Popmusiker George Michael und Andrew Ridgeley von Wham! gemeinsam mit ihren gewellten Haaren ihre Freunde um sich versammelten, um im Schnee zu tollen, Rotwein zu trinken und an Liebeskummer zu leiden. So erzählt es Jahr für Jahr das Video, und Jahr für Jahr taucht die Welt in ein autofreies Bergdorf in der Schweiz ein, ohne genau das zu wissen.

Wer "Last Christmas" im Dezember entkommen will, muss auf den Mars ziehen.

Den Dorfplatz von Saas-Fee haben Schüler in Beschlag genommen. Dicke Schultaschen, dicke Wintermäntel. Vor ihnen steht ein riesiger Weihnachtsbaum, hinter ihnen ihre Schule, eine Kantonalbank, das Gemeindezentrum, alles ein Gebäude. Rundherum bewegen sich Skifahrer mit ihren eckigen Skischuhschritten, einzelne Flocken fallen vom Himmel, und so weiß das Alpenpanorama rundherum auch ist, auf der Straße regiert der Gatsch. Im Dorf von „Last Christmas“ herrscht in der Weihnachtssaison erstaunlich wenig „Last Christmas“.

Andere Orte hätten längst Wham!-Postkarten mit unangenehmen Sprüchen erfunden, oder Skihelme in Form einer Föhnfrisur, mindestens jedoch ein kleines Museum mit dem Schlüssel, den sie damals nicht gefunden haben. Jeder Amerikaner hätte hier einen Vergnügungspark hingepflastert, die Konterfeis von George Michael und Andrew Ridgeley in den nächstbesten Viertausender eingraviert. Stattdessen: nichts. Zumindest nichts Sichtbares. Nur am schwarzen Brett des Gemeindezentrums, hinter dem Pulk Schüler, lädt ein Bewohner Ende des Jahres zum zweistündigen Wham!-Walk ein („Wir freuen uns auf möglichst ausgefallene 80s-Verkleidungen“).


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