Jedem sein Enfant terrible, jedem sein Boris – den Briten ihr Boris Johnson, den Deutschen ihr Boris Becker.
Johnson sitzt seit dreieinhalb Monaten nicht mehr in 10 Downing Street, pro Rede streift der Ex-Premier eine Viertelmillion Pfund ein und die Gags sind die eines Comedians. Über Nachfolgerin Liz Truss und ihr „Mini-Budget“ ätzte er, das habe sich so angehört wie sein Klavierspiel – „die richtigen Noten, nur in der falschen Reihenfolge“. Neulich zeigte er sich in Venedig in Pudelhaube mit Hundeohren. BoJo eben.
Ex-Wimbledon-Champion Becker sitzt seit einer knappen Woche nicht mehr im Gefängnis Huntercombe ein. Das erste TV-Interview brachte ihm eine kolportierte halbe Million Euro ein. Geläutert, demütig, überwältigt vor Rührung trat Häftling A2923EV darin auf: „Ich habe den Menschen wiederentdeckt, der ich einmal war.“
Ein bekennender Stoiker, „Häf'n-Philosoph“ und Zahlen-Mystiker, der am 22.11.2022 seinen 55. Geburtstag mit drei Torten gefeiert hat. BB, down to earth, als Fitness-, Englisch- und Mathe-Coach: Wer hätte das gedacht? Klingt wie eine Hollywood-Story. Die Öffentlichkeit liebt nun einmal reuige Sünder, erst recht bei so großer Fallhöhe. Ein „Come-Becker“, wie die „Süddeutsche“ schrieb. In seinem Comeback ist Becker Johnson vorerst einen Punkt voraus. Johnsons große Fernsehshow steht indessen noch aus. (vier)
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2022)