Sachbuch

„Linguistics for Peace“: Der Frieden hat viele Mütter

Zu viel Gerede vom Krieg mitten in Europa? In „Linguistics for Peace“ regt der Anglist Alwin Fill dazu an, zumindest einmal sprachlich mit dem Abrüsten zu beginnen.

Das zu Ende gehende Jahr hat durch den Angriffskrieg Russlands gegen seinen Nachbarn Ukraine die Lesenden und Schreibenden in aller Welt freiwillig wie unfreiwillig zu Militärexperten gemacht. Wer wollte zuvor schon genauer wissen, was iranische Kampfdrohnen sind, die verharmlosend als „Schahed“ (Augenzeuge) oder „Mohajer“ (Einwanderer) bezeichnet werden? Wer hat sich zuvor mit einem Flugabwehr-Raketensystem namens Patriot beschäftigt, mit dem die USA Kiew beliefern wollen, damit die verheerende Wirkung dieser Drohnen und ballistischer russischer Waffen eingedämmt wird? Im schlimmsten Fall hat man sich 2022 noch ein weiteres Stück „alternativer Fakten“ angeeignet und nennt den Krieg mitten in Europa eine „militärische Spezialoperation“, wie das Wladimir Putin zu tun pflegt. Nach seinem „Neusprech“ (wie George Orwell in „1984“ die kaltblütige Verdrehung der Wirklichkeit genannt hat) gibt es nämlich gar keinen Krieg. Für Diktatoren gilt: „Krieg ist Frieden! Freiheit ist Sklaverei! Unwissenheit ist Stärke!“

Vielleicht sollte man in der stillen Zeit zumindest sprachlich etwas abrüsten. Ein Vademekum dafür hat der Anglist Alwin Fill verfasst: „Linguistics for Peace“ (Königshausen & Neumann). Für ihn ist die Sprache, wie Karl Kraus prägnant formuliert hat, „die Mutter, nicht die Magd des Gedankens“. Sprache prägt unser Denken. Das kann auch im negativen Sinn so sein. Fill zitiert seinen britischen Kollegen Michael Halliday, der sich kritisch mit „Growthism“ auseinandersetzte. Inzwischen wird diese Phrase auch im Deutschen verwendet. Was propagiert sie? Viel ist besser als wenig, Wachstum ist gut. Größer, höher, schneller, mehr! Vorsicht aber mit dem Komparativ! Er führt rasch zu Verteilungskämpfen, zu dauernden Konflikten, schließlich auch zu bewaffneten. Diese Gewalt zu verherrlichen war im Lauf der Geschichte eher die Regel denn die Ausnahme. Heraklits dunkler Spruch, dass der Krieg der Vater aller Dinge sei, fand in den vergangenen 2500 Jahren viele willige Vollstrecker.

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