Warum nur in einen Container schauen, wenn es in der Stadt tausende gibt?
Vorabdruck

Aus Arno Geigers neuem Roman: Teilzeit in der Gosse

Beim Marktamt auf der Kettenbrücke, an dem ich auf dem Weg zum Einkaufen beinahe täglich vorbeiging, befand sich eine große Müllstation mit mehreren Papiercontainern. Dort stieß ich eines Tages auf fünf hier als Abfall hingestellte Bananenkartons mit Büchern. Ein Zufall. Oder scheint es nur so? Ein Vorabdruck.

Es fehlt nicht viel, dann sind es drei Jahrzehnte, seit es angefangen hat. Ich war vierundzwanzig Jahre alt, strebte keine Anstellung an, weil ich Schriftsteller werden wollte, und lebte in Wien in einem Haus, das dem Aussehen nach kurz vor dem Abriss stand. In diesem heruntergekommenen Haus bewohnte ich eine heruntergekommene Wohnung, dreißig Quadratmeter, bestehend aus einer engen Küche und einem an die Küche anschließenden Zimmer. Dieses Zimmer hatte die Aufgaben von Wohn-, Arbeits-, Ess- und Schlafraum zu erfüllen. Das Klo auf dem Gang teilte ich mit den Nachbarn. (. . .)

Die Wohnung wirkte nach außen hin deprimierend mit den von meinen Eltern abgelösten, zweieinhalb Meter hohen Schrankwänden und dem alten Bettüberwurf. Aber ich betrachtete sie als mein Zuhause und schätzte mich glücklich, dass ich diesen Ort hatte und eine Tür, die ich hinter mir schließen konnte. Oft lernte ich für Prüfungen, oft schrieb ich an einem Roman. Ich hatte eine Freundin, M., sie gab sich Mühe, das von mir Geschriebene zu lesen, schlief aber meistens darüber ein. Ich merkte es, wenn ich, am Schreibtisch sitzend, in meinem Rücken kein Blättern mehr hörte. M. schlief sehr still. Brauchte ich selbst etwas zum Lesen, ging ich auf den Flohmarkt. Dann kehrte ich nicht mit einem, sondern mit zehn Büchern zurück. Mir erschien die Zukunft so ungeheuer groß und weit, dass ich bedenkenlos auf Vorrat kaufte. Dabei war ich eigensinnig genug, das Ausgefallene dem Gängigen vorzuziehen.

Im Rückblick, in der Sturzflut der Tage, ich muss sagen: M. und ich waren Kinder der Provinz, unsicher und fleißig. Schmusen und Herumhängen fanden wir schön, hielten es aber nicht lange durch. Wir praktizierten auch das Schmusen und Herumhängen mit Konzentration, nicht, wie andere, mit Ausdauer. Wir waren ständig in Bewegung, neugierig, auf unser Weiterkommen bedacht.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.