Pizzicato

Die Liebe in den Zeiten des Hasses

Rosángela Lula da Silva – genannt Janja – hätte eine Vorahnung beschleichen müssen, als Brasiliens neue Primera Dama nach den Inaugurationsfeierlichkeiten den Präsidentenpalast in Augenschein nahm.

Die Vormieter hatten den Alvorada-Palast – den von Oscar Niemeyer entworfenen Palast der Morgenröte – in desolatem Zustand hinterlassen. Zerborstene Fensterscheiben, kaputte Fußböden, heruntergerissene Gemälde: Es war so, als hätten die Bolsonaros bei ihrem Auszug den Sturm der Vandalen auf Brasilia Tage später vorweggenommen. Unter dem Motto „Hinter mir die Sintflut“.

Janja, die handfeste Soziologin, lässt sich dadurch nicht erschüttern. Sie hat den Witwer Lula kurz vor seiner Haftstrafe kennengelernt, ihm Speisen ins Gefängnis mitgebracht, seine Wäsche nach Hause genommen und ihm 580 Briefe geschrieben – einen für jeden Tag in der Zelle. Eine Liebesgeschichte, die den Hass überwindet, der ihrem Mann entgegenschlägt.

Derweil hält Jair Bolsonaro in der Vorstadt Kissimmee im eher bescheidenen Exil in Florida Hof – und hält nahe Disneyworld an einer Fantasiewelt fest. Am Neujahrstag, als in Brasilia eine neue Ära begann, tröstete er sich mit Hähnchen bei Kentucky Fried Chicken, umgeben von suburbaner Tristesse und Einsamkeit. Der Winter des Patriarchen im Sommer des „Sunshine State“. (vier)

Reaktionen an: thomas.vieregge@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2023)

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