Bernhard Bueb: „Die Anstrengung widerspricht der menschlichen Natur“

Mehr Disziplin. Der deutsche Pädagoge Bueb über „Glück durch Anstrengung“, Faulheit sowie Ganztagsschulen als einzigen Ausweg aus der Bildungsmisere.

Die Presse: Sie schreiben in Ihrem Buch „Lob der Disziplin“ davon, Macht positiv zu besetzen. Wie kann man sich das im Schulalltag vorstellen?

Bernhard Bueb: Lehrer sollen wissen, dass sie Macht haben. Macht ist zunächst neutral. Es kommt darauf an, zu welchem Zweck man sie ausübt. Wenn man sie dazu ausübt, um Kinder erfolgreich zum Lernen zu führen, ist es positiv.

Wie sieht das in der Praxis aus?

Ich kann meine Macht dazu nutzen, im Klassenzimmer für Ruhe zu sorgen. Oder dazu, Kindern bestimmte Inhalte zuzumuten, die sie freiwillig nicht lernen würden. Ich sage dann als Lehrer, beauftragt von den Eltern und vom Staat, was gemacht wird. Ich spreche dann von Autorität, die ist ja rechtmäßig ausgeübte Macht. Ich nutze sozusagen meine Macht zu eurem Wohl.

Wie lässt sich das mit der Lernmotivation der Schüler vereinbaren?

Ich denke der Appetit kommt mit dem Essen. Viele Schüler aus Familien, in denen zu Hause nicht gelesen wird, wissen gar nicht, welche Freude Lesen machen kann. Folglich muss ich sie zunächst einmal dazu verpflichten, Lesen zu üben, um dann Freude am Erfolg zu haben. Das ist das Wesen der Schulpflicht. Ich muss sagen, damit du erfolgreich lesen lernst, musst du zunächst in meine Klasse kommen und dich meinem Willen unterordnen. Mein Wille heißt, du sollst lesen lernen. Ich kann nicht sagen, eure Freude kommt von sich aus. Das ist ja bei manchen die pädagogische Auffassung.

Aber lernen Kinder nicht leichter, wenn sie den Willen dazu haben?

Natürlich. Aber wie soll denn ein Kind aus einer Familie, die Sozialhilfeempfänger, Alkoholiker oder Migranten sind, die die Sprache gar nicht können, Freude am Lesen haben? Da kann man nur sagen, du gehst in die Schule, so wie es vom Staat verordnet ist.

Wenn es dann so weit ist. Wie schaffe ich es, dass das Kind gerne lernt?

Natürlich, meine pädagogische Kunst besteht darin, den Kindern den Spaß am Lesen beizubringen. Die Montessoripädagogik sagt zum Beispiel: „Ich bereite dir eine so anregende Umgebung, dass du dann von dir aus die Lust am Lesen gewinnst. Aber kommen musst du, dazu zwinge ich dich.“ Und dann begleite ich das Kind auf seinem Weg. Wobei man sagen muss, das das natürlich umso besser funktioniert, je mehr Kinder aus gebildeten Elternhäusern kommen, aus denen sie schon eine Neigung zum Lesen mitbringen. In den europäischen Ländern sind die 20Prozent der Kinder aus der Unterschicht unser Problem.

Wie löst man dieses Problem?

In Amerika hat man versucht, die Kinder in den Stadtteilen zu mischen, das ist total schiefgegangen. Das heißt, das wird so nicht gehen. Nach meiner Auffassung kann man das nur so machen, indem man sehr früh den Eltern die Kinder entzieht und sie in ganztägige Kindergärten und ganztägige Grundschulen bringt.

Was bedeutet sehr früh?

Mindestens ab dem dritten Lebensjahr – und verpflichtend. Wenn es nicht Pflicht ist, werden weder die Migranten die Kinder schicken, weil sie ja dagegen sind, die wollen ja die deutsche Kultur nicht kennenlernen, noch die Unterschichteltern, da sind viele zu gleichgültig. Und dann müsste ich versuchen, die Defizite zu beseitigen. Die Behörden scheuen die Kosten. Das ist ein großer Vorwurf an die Politik, dass sie der Bildung nicht die oberste Priorität einräumt.

Sie würden die Erziehung also mehr in die Hände der Pädagogen geben?

Ja, und zwar deswegen, weil die einzige Sprache in der es den Begriff Ganztagsschule gibt, die deutsche Sprache ist. In allen anderen Ländern, außer Deutschland, Österreich und der Schweiz, ist die Ganztagsschule die Regelschule. Es kann doch nicht sein, dass die anderen alle Unsinn machen. Die Frage ist doch eher, ob nicht wir Unsinn machen. Die PISA-Ergebnisse zeigen, dass die Kinder aus der Unterschicht zu wenig Chancen haben, höhere Bildung zu bekommen. Und das können sie nur über die ganztägige, verpflichtende Erziehung lösen.

Soll Lernen Spaß machen?

Ja, unbedingt. Kinder müssen die Erfahrung machen, dass sich anstrengen glücklich macht. Das heißt, jeder ist seines Glückes Schmied, aber das Glück, das ich selbst herstellen kann, folgt immer der Anstrengung. Und dazu muss ich sie zu ihrem Glück zwingen.

Wie reagiert man darauf, wenn das Kind nicht will?

Da muss es durch, damit es sieht dass erst der Erfolg den Spaß macht. Vor dem Gelingen steht die Anstrengung. Und die Anstrengung widerspricht der menschlichen Natur. Von Natur aus sind wir faul, wollen unsere Bedürfnisse befriedigen. Alle Kultur ist an Anstrengung gebunden. Das einzige Glück, das nicht dem Zufall überlassen ist, ist das Glück der Anstrengung. Und das müssen wir unseren Kindern vermitteln, dass Anstrengung glücklich macht. ks

Zur Person

Bernhard Bueb (72) ist ein deutscher Pädagoge und Theologe. Von 1972 bis 1974 unterrichtete er an der Odenwaldschule. 1974 bis 2005 leitete er das Elite-Internat in der Schule Schloss Salem. 2010 wurde bekannt, dass es auch dort zu Fällen sexuellen Missbrauchs an Schülern kam. Bueb entließ damals die beschuldigten Lehrer, bezeichnete die Fälle aber als „vergleichsweise harmlos“. Der Erziehungsexperte sorgte während seiner Tätigkeit in Schloss Salem mit ungewöhnlichen Methoden, wie verdachtsunabhängigen Alkoholtests und Urinproben bei Schülern, für Aufregung. Im Jahr 2006 veröffentlichte er sein Erziehungsbuch „Lob der Disziplin – Eine Streitschrift“, 2008 das Buch „Von der Pflicht zu führen“. Bueb ist ein scharfer Kritiker des deutschen Schulsystems. Er fordert seit Jahren mehr Disziplin, Autorität und Verantwortung in der Erziehung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2011)

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