Niki Lauda

Als das Wunder passierte

(c) McKlein / Reinhard Klein / Colin McMaster 2019
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Mit der Jänner-Ausgabe des Vorjahrs haben wir im „Fahrstil“ eine kleine Serie mit der Chronologie von Niki Laudas Formel-1-Karriere begonnen.

Im Februar 1973 wurde Niki Lauda 24 Jahre alt. Mit seiner großbürgerlichen Familie hatte er längst gebrochen, also auf finanziellen Background verzichtet. Für einen normalen Beruf kam er mangels Ausbildung nicht in Frage, das schlampig gefälschte Maturazeugnis war auch keine Hilfe. Allerdings war sein Talent als Rennfahrer eindeutig, schon bei nächtlichen Übungsfahrten auf dem Kahlenberg. Die Kurven zwischen Cobenzl und Fischerhaus gingen besonders gut, auch noch ohne Führerschein.

Logisches Ziel war unverändert die Formel 1. Dafür brauchte man auch damals schon – selbst als Supertalent – eine Menge Geld, um die Ochsentour durch die unteren Rennklassen zu verkürzen. Niki hatte sich für diesen Abschneider entschieden und dank der (wenn auch nur theoretischen) Bonität des Elternhauses Kredite bekommen. Damit schaffte er es ins March-Team, das gar nicht so übel gewesen war, immerhin war Ronnie Peterson der Nummer-eins-Fahrer. Aber das englische Team war selbst so knapp bei Kasse, dass alles schiefging – bei Lauda bis hin zu Selbstmordgedanken, zumindest war ihm derlei nicht ganz fremd. Nur Schulden, no future.

Sein einziges Kapital waren sein Talent und eine Unerschrockenheit im Umgang mit Geld, das er nicht hatte. 1973 musste er diese beiden Dinge passend auf die Reihe bringen, sonst war die Karriere vorbei.

Es gab noch seltsame Vögel in der Formel 1, also reiche Binkel, die wenig Ahnung vom Metier hatten, sich aber gern wichtig machten und Teamchef spielten. Man kennt den Typus beispielsweise von der Figur des dicken Lord Hesketh, der mittlerweile als James-Hunt-Sponsor im Film „Rush“ hübsche Auftritte hatte. So ein Typ, ein paar Jahre zuvor, war Louis Stanley. Er hatte die Schwester eines wirklich reichen Kerls geheiratet und dadurch zufällig die Kontrolle über das BRM-Team gewonnen. Die drei Buchstaben standen für British Racing Motors, mehr konnte man in der ersten Nachkriegskriegszeit schwerlich abdecken, als ob’s ein Staatsverein sei. Den hohen Ansprüchen folgten große Namen mit 17 GP-Siegen von Graham Hill bis Jackie Stewart. Freunde von sehr, sehr komplizierten Geräten werden sich vielleicht noch an der Fama des H-16-Motors (1967) erfreuen, quasi zwei Achtzylinder übereinander, alles innerhalb von drei Litern Hubraum. Ein Motor wie ein Denkmal. Auch der spätere V12-Motor war durchaus imponierend.

Kurz gesagt: BRM war ein historisch bedeutender Rennstall, hatte dann aber zu viele Defekte (Spitzname: British Racing Misery) und zuviel Chaos im Management. Als Lauda in seiner fast schon verzweifelten Suche nach einem F-1-Cockpit mit Louis Stanley anbandelte, war BRM schon im Trudeln, als Option aber alleweil noch viel besser als nix. Zu Laudas Talenten gehörte das rasche Durchschauen von Menschen. Er wusste, wie man den pompösen Zirkusdirektor behandeln musste, vor allem auch dessen Gemahlin, die fallweise sogar zu technischen Details ihren Senf gab. Hilfreich waren wieder einmal Nikis gute Manieren der Alt-Pötzleinsdorfer Bourgeosie, sein Handkuss entzückte Madame Stanley. Jedenfalls erhielt Lauda einen Vertrag und saß daher 1973 wieder in einem Formel-1-Auto, wenn auch in einer abenteuerlichen finanziellen Konstruktion.

BRM hatte zwei bezahlte Fahrer (Regazzoni und Beltoise), Niki hingegen musste Geld aufstellen, rund zwei Millionen Schilling in drei Raten. Zusammen mit dem Negativ-Saldo aus der March-Zeit ergab das vier Millionen Schilling Schulden (laut Inflationsrechner ca. 1 Mio Euro heutzutage). In dieser Beziehung glaubte Niki sehr wohl an Wunder, es blieb ihm ja auch nichts anderes übrig.

Immerhin hatte BRM es zuwege gebracht, erstmalig für die Formel 1 eine Sponsorship von Marlboro zu ergattern, die goldenen Zeiten der Zigarettenwerbung hatten begonnen. Niki bekam von den Amerikanern eine Antrittsprämie von 20.000 Schilling. Insgesamt drehte er damals unglaublich viel Geld im Kreis herum, um ein Loch zu stopfen und ein anderes aufzureißen. Immerhin profitierte er noch immer vom österreichischen Mythos der Jochen-Rindt-Nachfolge, Helmut Marko war durch seine Augenverletzung ausgeschieden. Persönliche Sponsoren in kleinem Stil waren also durchaus zu haben, inklusive Sachleistungen wie die Nutzung eines Ford Capri RS für die Saison. Das ersparte Lauda die meisten Reisespesen innerhalb Europas, für die Überseetickets war das Team zuständig. Unsereins als junge Journalisten, vor allem Heinz Prüller und Helmut Zwickl, waren schon fest auf den Fährten des talentierten jungen Mannes.

Wie war Niki mit 24? Er war eher locker. Man hatte nicht den Eindruck, dass er aus dem letzten Loch pfiff. Es fiel ihm leicht, von einem Revier ins andere zu wechseln, teilweise das Netz der Aristos zu nutzen. Er wurde auch das Image des „Seicherls“ los (für unsere deutschen Freunde: Weichling, oder so ähnlich), auch von den Hasenzähnen des Buben blieb nicht viel übrig. Er hatte seine typische flinke Gestik und einen guten Schmäh in seiner damals schon knappen Sprache. Seine totale Bildungsfreiheit fiel niemandem auf, das im Racing nötige Englisch-Vokabular hatte er rasch beisammen. Den meisten Leuten war er auch richtig sympathisch.

Für einen wilden Hund (der er zweifellos war) wirkte Niki vielleicht etwas zu harmlos. Die ernsthaft Interessierten wussten aber schon, welche Kampfkraft in dem schmalpickten Kerl steckte, am besten zu ahnen bei den Tourenwagenrennen auf den „richtigen“ Rennstrecken wie dem Nürburgring.

Kunstgeschichtestudentin Mariella Reininghaus schien die ideale Gefährtin auch langfristig zu sein. Im Lauf des Jahres übersiedelte das Paar von Wien in eine kleine Wohnung nach Salzburg. Das lag zentraler für die meisten europäischen Rennstrecken, die 1973 noch allesamt per Auto angesteuert wurden.

Das Phänomen der Boxenluder kam im Film eher vor als in der Formel-1-Realität, wo brave junge Ehefrauen oder Freundinnen die Stoppuhren drückten, eine Institution, die sich bis in die 1980er-Jahre hielt (große Ausnahme: die Groupies von James Hunt). Mariella war durchaus ständige Begleiterin bei den Rennen, blieb aber so zurückhaltend, dass man sie nicht leichtfertig anquatschte. Bei Langstreckenrennen konnte sie stundenlang auf einem Reifenstapel sitzen, ohne ein Wort.

Im BRM-Formel-1-Team war Lauda die Nummer drei hinter Regazzoni und Beltoise, und natürlich gab es die üblichen internen Intrigen ums bessere Material, speziell noch verschärft durch das Dreinreden des Teamchefs, der nicht so gut zwischen Facts und Fake unterscheiden konnte – und auch nicht wollte.

Lauda erzählte, dass er sich bei einem Treffen zur Tea Time im „Dorchester“ bei Louis Stanley über das Leistungsmanko des stolzen Zwölfzylinders beklagt hatte. Der Chef ging kurz hinaus und sagte beim Zurückkommen: „I just had a phone call from the test house, we found twenty more horse powers in the exhaust system.“ Lauda war überzeugt, dass Stanley bloß pinkeln gegangen war. Natürlich wurden die 20 PS auch nie gefunden, weder im Auspuff noch sonstwo.

Der BRM des Jahrgangs 1973 war bestenfalls F-1-Mittelklasse, durch technische Schlamperei oft noch schlechter. Immerhin stellte sich heraus, dass Lauda grundsätzlich schneller war als seine höher gehandelten Teamkollegen Regazzoni und Beltoise. Am deutlichsten aber wurde Nikis Fahrkunst bei ausgeglichenem Material wie bei den Tourenwagen, die nur so harmlos klingen – in ihren Rennversionen waren es die giftigsten Maschinen, die man sich als Fan erträumen konnte, dementsprechend auch die Zuschauerzahlen. Das Hauptmatch hieß BMW (CS Coupé) gegen Ford (Capri RS), Lauda war für BMW-Alpina tätig, soweit es der Formel-1-Kalender zuließ.

Unser Kollege Dieter Stappert schrieb vom Nürburgring 1973: „Wir standen am Pflanzgarten. Lauda kam im vollen Flug daher, keines der Räder deutete in die Richtung, in die es eigentlich zeigen sollte, der ganze BMW schien verwunden zu sein. Mit einem Driftwinkel jenseits des Vorstellbaren verschwand er aus unserem Blickfeld. Einpacken und Wegfahren, es war sinnlos, noch auf irgendein anderes Auto zu warten.“

Als Topfahrer von BMW oder Ford verdiente man gutes Geld. Lauda schaffte es, die erste Rate seines Schuldenbergs (an verschiedenen Adressen) abzuzahlen, aber dann war’s finster. Als der nächste Termin bevorstand, war Niki völlig blank, obwohl sein sponsorengeschmückter Helm und Overall nichts davon verrieten.
Es bedurfte also endgültig eines Wunders.

Die aufregendsten Teams jener Saison 1973 waren Lotus (Fittipaldi, Peterson) und Tyrrell (Jackie Stewart), auch Denny Hulme bei McLaren zeigte schon auf. Was die Sicherheitsausstattung von Fahrern und Strecken betraf, war man noch in der Steinzeit, aber rund um den wunderbaren Jackie Stewart (diesen Juni wird er 84!) entstand immerhin schon eine Kraftzelle der Vernunft. Jochen Rindt wäre schon im richtigen Boot gesessen, wenn es ihn nicht im falschen Moment erwischt hätte.

Im WM-Lauf von Monaco kämpfte sich Niki sensationell auf den dritten Platz vor und, noch sensationeller, konnte ihn mehr als zwanzig Runden halten, ehe er mit Getriebeschaden ausschied. Diese zwanzig Runden hinter den Champs Stewart und Fittipaldi, als er sich den Ferrari von Jackie Ickx vom Leib hielt, waren Laudas goldene Stunde im weltweiten Fernsehen und veränderten ein für allemal seinen Stellenwert im Motorsport. Heinz Prüller redete sich in totale Heiserkeit, die Zuschauer applaudierten bei Nikis Rückweg an die Boxen, Sieger Jackie Stewart umarmte ihn. Louis Stanley bestellte ihn noch vor dem fürstlichen Galadiner ins Hotel de Paris, sprach von einem „magical race“ und hatte sogar schon ein Papierl dabei, das er dem Niki zum Unterschreiben unter die Nase hielt.

Lauda ahnte, dass es noch besser ginge und unterschrieb erst um drei Uhr früh einen neu aufgesetzten Text, der ihn von einem Bezahlfahrer zu einem bezahlten Fahrer machte, und zur Nummer eins des Teams ab 1974.

Was Lauda noch nicht wusste: Unter der Fernsehgemeinde des Monaco-Rennens war auch Enzo Ferrari gewesen, der hatte es unglaublich gefunden, dass ein junger Mann mit einer BRM-Gurke den Ferrari-Star Jackie Ickx im Griff haben konnte. Sechs Wochen später war Lauda im Regentraining von Holland der Schnellste des ganzen Felds, damit fügte sich das neue Bild von Niki Lauda endgültig zusammen. Ferrari beauftragte den später berühmt gewordenen Luca di Montezemolo damit, diesen jungen Östterreicher einzufangen und vorzuführen.

Nikis Poststelle und Telefonzelle war das Büro seines Cousins in Salzburg (er nannte ihn Jenzy, weil er fand, dass man Eugen einfach nicht heißen dürfe, irgendwie einleuchtend), jedenfalls schaute Lauda nach jeder Reise vorbei. Es gab tatsächlich – keine nachträgliche Anekdote – den Running Gag, dass Lauda jedes Mal fragte: „Hat Ferrari angerufen?“ Wie man sonstwo fragte: „Hat Hollywood angerufen?“ Und am 31. Juli hatte Jenzy Mühe, sich glaubhaft zu machen: „JA!!!!“

»IN PUNKTO SICHERHEIT WAR MAN 1973 NOCH IN DER STEINZEIT.«

Montezemolo und Lauda vereinbarten einen Treffpunkt hinter einer Autobahnausfahrt bei Modena. Interessanterweise war die erste Frage des Italieners: Wieviel im Jahr?

Lauda, dem in diesem Augenblick der gültige BRM-Vertrag völlig wurscht war: „Eine Million Schilling.“ Es dauerte erstaunlich lang, bis die beiden es geschafft hatten, den gültigen Lire-Betrag zu errechnen, den dann der alte Herr (Enzo Ferrari war 75) absegnen würde.

In einem Aufwaschen legte Lauda gleich eine Fährte zu Clay Regazzoni als zweitem Fahrer des Teams, den würde er im Griff haben.

Louis Stanley samt Gattin fielen quasi in Ohnmacht, als sie im September erfuhren, was der Zweijahresvertrag mit Lauda wert war. Niki war schon damals cool: Entscheidend war das Cockpit bei Ferrari, alles andere würde sich regeln lassen. Luca Montezemolo sagte zu, dass die vereinigten Rechtsanwälte Italiens dem Fall ihre Aufmerksamkeit schenken würden, falls dies wirklich nötig sei.

Stanley tobte noch einige Zeit, dann war Ruhe. Lauda fühlte sich moralisch so halbwegs im Recht, erstens gab es irgendeinen Formfehler bei BRM, zweitens hatte man immer wieder Zusagen zur technischen Aufrüstung des Autos nicht eingehalten.

Für Laudas Leben war es der totale Umsturz. Er bezog für Monate Quartier im Hotel Canale in Maranello, um für die Testarbeit jederzeit greifbar zu sein. Für sein Ansehen in Österreich und in der ganzen Racingbranche bedeutete der Ferrari-Vertrag ein goldenes Märchen, in dem sich auch der Rest seiner Schulden auflöste. Eine völlig neue Art von Leben wartete.

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