Mein Montag

Es braucht mehr Ehrlichkeit: „Schleichts euch alle!“

In vollen öffentlichen Verkehrsmitteln neigt der Österreicher zu passiv-aggressiven Formulierungen.
In vollen öffentlichen Verkehrsmitteln neigt der Österreicher zu passiv-aggressiven Formulierungen.Michaela Bruckberger
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Statt dem passiv-aggressiven „Steigen Sie aus?“ einfach hinausschreien, was man wirklich denkt?

Gerade in Österreich verpackt man ja Ablehnung gern in sprachliche Zuckerwatte. Steht man etwa in einer voll besetzten Straßenbahn mehrere Meter vom Ausgang entfernt und wird von der Wiener Urangst erfasst, dass man bei der nächsten Station nicht rechtzeitig den Waggon verlassen kann, macht man das mit einem nach außen hin freundlichen, eigentlich aber passiv-aggressiven „Steigen Sie aus?“ Unter uns, was man in diesem Moment wirklich gern in die anonyme Menge schreien würde, ganz ohne Wiener Höflichkeitsfilter, wäre eher ein „Schleichts euch alle!“ Aber man muss gar nicht die Wohnung verlassen, um dieses Gefühl des Überdrusses zu bekommen. Auch wenn man am Laptop ein paar Webseiten öffnet, muss man öfter freundliche Miene machen – zumindest suggerieren das die vielen Pop-ups. „Möchten Sie, dass wir von unserer Website aus laufend Nachrichten an Sie schicken können, auch wenn Sie gar nicht da sind?“ So oder so steht es auf der bunten Kachel, die den Inhalt blockiert, den man eigentlich lesen wollte. Als Antwortmöglichkeit wird neben dem „Ja“ so etwas gegeben wie „Nein, danke“ oder „Vielleicht später“. In Wirklichkeit sucht man in dieser Situation aber eigentlich einen „Gehts scheißen“-Button. Irgendetwas, mit dem man all die Aggression, die einem die ständig aufpoppenden Hinweise beschert haben, zurück ins WWW schießen kann.

Es braucht mehr Ehrlichkeit, mehr Geradlinigkeit in der Kommunikation. Auch beim Gegenüber. „Liebe Fahrgäste, Sie verzögern die Abfahrt. Bitte halten Sie den Türbereich frei!“ ist ja das Gegenstück zum „Steigen Sie aus?“ Aber für „Oida, putzts euch weg von den Türen“ sind die Wiener Linien halt zu feig. Und okay, statt „Sehr geehrter . . .“ einen Brief mit „Du Beidl“ einzuleiten, ist dann vielleicht doch ein bisschen zu viel, oder? Was meinen Sie? Ich freue mich auf Ihre Zuschriften.

E-Mails an:erich.kocina@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2023)

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