Ski-WM

Laurence, das unbeschriebene Ahornblatt im Stangenwald

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SKI-ALPINE-WORLD-2023-WOMEN-SLALOM-CEREMONYAPA/AFP/JEFF PACHOUD
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Laurence St-Germain, 28, stellte mit Gold die Skiwelt auf den Kopf. Die Frankokanadierin war im Weltcup nie besser als Fünfte, studiert Informatik, war aus allen Kader geflogen – und flog jetzt als Weltmeisterin „over the moon“.

Méribel. „Crazy Canucks“ sind im Skizirkus populäre Rennfahrer. Vor dieser Ski-WM in Frankreich schwärmte man von Ken Read, der Anfang der 1980er den Abfahrtslauf dominierte. Man erinnerte sich an Doppelweltmeister Erik Guay (2011, 2017), einige wussten mit Dustin Cook (Vizeweltmeister 2015), viel mehr freilich mit John Kucera (Abfahrts-Gold 2009) anzufangen. Jetzt kamen vier neue Medaillen dazu, zwei in Gold: durch James Crawford (Super G) – und so sensationell im Frauen-Slalom durch Laurence St-Germain.

Wer vor dem Rennen auf die Studentin, 28, gesetzt hätte, wäre jetzt vermutlich reich. Das neue Pisten-Juwel der Ahornblätter war noch nie besser als Fünfte. Doch weil sie an das Momentum glaubte, gelang ihr etwas, was in gewisser Weise an das märchenhafte Solo von Anna Kiesenhofer bei den Sommerspielen 2021 in Tokio erinnerte. Keiner glaubte daran, es passierte doch: da eine Mathematikerin, hier eine Informatikerin.

St-Germain ist Kanadas erste Slalom-Weltmeisterin seit 63 Jahren. Zuvor war das Anne Heggtveit (mit 3,3 Sekunden Vorsprung) geglückt. 1960 in Squaw Valley waren es Winterspiele, die als WM galten.
Es ist das Unerwartete, was derart fasziniert. Kanada bloß auf Eishockey zu reduzieren, wäre falsch. Es gibt Fußballklubs, 2026 kommt die Fifa-WM, Basketball (mit Jakob Pöltl; NBA) in Toronto oder Baseball (Blue Jays) begeistern. Und drei Skigebiete mit über 150 Pisten-Kilometern locken in Whistler Blackcomb, Fernie oder Lake Louise.

Popularität der Außenseiter

Wer aber ist die Gold-Sensation? Laurence St-Germain stammt aus Saint-Ferréol-les-Neiges nahe dem Skigebiet Mont Sainte-Anne. Als Teenager, 15, bestritt sie die ersten FIS-Rennen (RTL, Slalom), fuhr im Nor-Am-Cup. 2016 feierte sie in Vail ihren ersten Sieg, bei Kanadas Meisterschaften blieb es bei bislang einem Titel (2019, Slalom). Seit 2015 fährt sie im Weltcup, es dauerte zwei Jahre ehe sie (in Levi) im Finale stand. 2018, auf dem Semmering, war sie erstmals in den Top 10 – und wie viel man noch aufzählen würde: es bleiben einzelne Errungenschaften, bar aller Konstanz, ohne Nachdruck. 2013 war sie schon aus allen Kadern geflogen, das hatte Gründe. Sie kam wieder zurück, was zeigt, dass sie zu kämpfen versteht.

Darum ist dieses Gold so unfassbar. Nicht nur, weil sie Mikaela Shiffrin hinter sich ließ. Oder alle Österreicherinnen, die mit viel Geld und System ausgestattet sind, um „Meilen“ (keine in den Top 10) hinter sich ließ. Es ist der Coup einer Außenseiterin. Unterschätzte fahren ohne Druck und Erwartungen. Sie sind populär, Fehler werden leicht verziehen. Sie siegen zu sehen, war einzigartig. Ob sie das je wiederholen wird, steht auf einem ganz anderen Papier.

(fin)

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