Möbel

Worauf sitzen wir im Museum?

In Museen finden sich nicht nur Bilder, Skulpturen und andere Kunstwerke, in Museen stehen auch Möbel. Zum Pause machen, Sitzen oder sogar zum Reflektieren über das, was man gerade gesehen hat.

Möbel brauchen Räume. Sonst bleiben sie flache Versprechungen in zweidimensionalen Katalogen. Manchmal kommen Möbel sogar in ganz besondere Räume – Museen, vor allem, wenn das Museum befindet, dass die Stühle, Bänke und Sofas in seiner Sammlung gut aufgehoben wären. Und wenn die Möbel zufällig in die „Schausammlung“ geraten, dann fällt sogar auch ein wenig Aufmerksamkeit für sie ab, besonders in Institutionen wie dem Möbelmuseum Wien oder in den Design- und Kunstgewerbemuseen rund um die Welt.

Dabei rücken die Designbrands ihre Produkte gern ins Kunstlicht der Museen, um sich ein wenig im Kontext von Kunst und Kultur zu sonnen – zumindest für die Dauer eines Fotoshootings oder einer Werbekampagne. Andere Möbelentwürfe stehen dafür unverrückt in manchen Gebäuden, als wären sie untrennbare Teile davon. Und viele Gestalter haben es früher tatsächlich darauf angelegt. Selbst die Türschnalle wurde gestalterisch zum Teil des Ganzen, das manchmal sogar hochtrabend „Gesamtkunstwerk“ genannt wurde.

Faaborgmuseum

So etwa im dänischen Städtchen Faaborg auf der Insel Fünen, wo sich ein Mann, der mit Konservendosen reich wurde, ein Kunstmuseum geleistet hat – und für den Entwurfsprozess desselben die besten Gestalter seiner Zeit. Carl Petersen war der Architekt des Hauses, Karee Klint der Architekt der Stühle, die noch heute im Museum stehen und als „Faaborg“-Modell nach wie vor in den Möbelkatalogen. Designikonen sind beide geworden: der Stuhl und sein Schöpfer.


Auch im Kunsthistorischen Museum in Wien finden sich noch Möbel, die von Anbeginn dabei waren. Andere musste der Kreativdirektor des Hauses, Stefan Zeisler, wieder vom Sperrmüll holen – die Wertschätzung des Mobiliars durchlief verschiedene Phasen entlang der Hausgeschichte. Irgendwann hatte Zeisler genug Material gerettet oder geborgen. Für ein dreidimensionales „Mood-Board“, als Vorlage für die sanfte ästhetische Rückführung des Mobiliars an manchen Stellen des Hauses. Vor allem auch dort, wo die Besucher und Besucherinnen unter der imposanten Kuppel sitzen, trinken und essen.

Christine Pichler

Aber nicht nur in den Gastronomiebereichen sind Museen mit Entwürfen bestückt, die weder Teil der Sammlung und Ausstellung sind. Wer viel gesehen hat, will auch einmal vom Schauen rasten. Oder zur Abwechslung im Sitzen kontemplieren. Dafür hat etwa der japanische Designer Tokujin Yoshioka dem Pariser Museé d’Orsay einen Entwurf in den Raum gestellt. Einen, der sich aus dem räumlichen Kontext visuell fast vollständig zurückzieht, als hätte der Designer einen Schwall Wasser schockgefroren – vor den Bildern der berühmten Impressionisten.

Sitzen und Schauen

Sitzen und schauen, in vielen Museen gehört das nicht zum Raum- und Möbelprogramm. Das meint auch die Chefkuratorin des Belvedere, Luisa Ziaja. Sie betreut selbst ein Museum mit, bei dem die Entwurfslogik die Räume bis auf die Sitzflächen der Fauteuils durchdringt: das Belvedere 21. Dessen Architekt, Karl Schwanzer, hat seinen Gestaltungsansatz nicht so gern segmentiert. Wie etwa bei jenem Entwurf für den österreichischen Expo-Pavillon 1958, den er 1962 zum Museum machte, zum ursprünglichen „20er Haus“.

In Wien im Schweizergarten, nachdem die Bauteile von Brüssel zurückgekehrt waren: Schwanzer verglaste, was zuvor offen war, und schnürte einen ästhetischen Verbund aus Raum und den Dingen, die in ihm stehen – ein paar eigene Entwürfe in seinem eigenen Entwurf. „Dazu zählen die Fauteuils und Couchtische, aber etwa auch ein Klavier­flügel, die alle heute noch im Foyer stehen“, erzählt Luisa Ziaja.
Andere Holzstühle werden auch intern nach wie vor für Besprechungen im Büro benutzt. Eine Outdoor-Version des Fauteuils hatte Schwanzer ebenso entworfen, denn die Verbindung nach außen, zum Skulpturengarten des Belvedere 21, war von Anfang an Teil des Museumkonzepts.

Christine Pichler

Der Hersteller Braun Lockenhaus produzierte für die Renovierung zum „21er Haus“ eine Neuauflage der Schwanzer-Kollektion. Formal bestimmt die Fauteuils vor allem ein Merkmal: „Es ist der markante Winkel von 128 Grad“, erklärt Ziaja. Karl Schwanzer zeichnete damit eine prägnante Möbel­silhouette in den Museumsraum. Und der Gestalter ­Gregor Eichinger knüpfte konsequenterweise direkt an dieser Linie an, samt seiner Winkel: In seinem ­Entwurf für die „Lucy“-Bar, die seit 2020 besteht, bestuhlt ebenfalls mit den Schwanzer-Fauteuils. Auf der anderen Seite des Foyers führt eine weiße Tür ins Blickle Kino: ein Interieur, als hätte man es aus den 1950er-Jahren he­rausgeschnitten und in die Gegenwart hineincollagiert, ebenfalls entworfen von Schwanzer. Gleichsam seine gestalterische Wertschätzung gegenüber dem bewegten Bild als Kunstform.

Ganzheitliche Zusammenhänge

Das „Gesamtbild“, die ästhetische Einheitlichkeit bis hin zum Mobiliar, das verstanden früher Architekten und Architektinnen noch als ihren Auftrag. Heute müssen diese Rolle meist andere übernehmen. Etwa der Kreativdirektor Stefan Zeisler im Kunsthistorischen Museum Wien. Er zurrt die roten Fäden fest, die sich ästhetisch quer durchs Haus spannen. Von den Publikationen auf Papier über die historischen Räumlichkeiten bis zu aktuellen Rauminterventionen. „Visuelle Stringenz“, sagt Zeisler, sei dabei eines der wichtigsten Gestaltungsziele. Die Perspektive, die er dabei zwangsläufig anlegt: das Ganze.

Christine Pichler

Gut, dass er darauf ästhetisch schon sozialisiert war – zumindest ist Zeisler in einem Otto-Wagner-Haus aufgewachsen. Und so weiß er auch genau, welche Gefühle Räume triggern können. Egal ob man täglich gleichsam „Otto Wagner“ im Stiegenhaus durchläuft oder sich nur einmal im Jahr von anderen Entwürfen einnehmen lässt: etwa von den imposanten Stiegenhäusern und Sälen im Kunsthistorischen Museum.
So intensiv wie hier vor Ort kann die Institution jedenfalls nirgends Eindruck hinterlassen. Und am besten noch, wenn sie dabei „authentisch“ wirkt. „Es ist wichtig zu wissen, wer man ist, nicht so sehr, wer man sein will“, sagt Zeisler. Und selbst wenn das Haus, auf das er selbst einwirkt, eher als „alter weiser Mann mit Bart“ wahrgenommen wird, darf man das gestalterisch durchaus positiv und sympathisch auslegen. Nicht nur in der Corporate Identity, auch im Möbeldesign.

Manche Stücke stehen schon von Anfang an hier in den verschiedenen Räumen. Andere kamen hinzu, als sich die ästhetische Haltung drehte. Oder als es Zeit wurde, sich wieder dem Ursprung ein wenig anzunähern. Denn das „Alte“ und das „Ehrwürdige“ steckt unauslöschlich im gestalterischen und visuellen Erbgut des Museums. Und genau dort hat Zeisler angesetzt, als er sich überlegte, wie das Kaffeehaus unter der Kuppel wieder zum Kaffeehaus werden könnte. Da hieß es: formal einmal die 1980er-Jahre wieder abschütteln. Und auch farblich ein wenig leiser treten, wenn sich die Architektur drumherum ohnehin so wichtig macht. Und das darf sie auch, meint Zeisler. Schließlich ist es die „kaiserliche Sammlung“. Tische und Stühle mittendrin müssen da nicht noch einmal extradick auftragen. Lieber sich einfügen.

Guggenheim Museum

Das große Loch, durch das alle nach unten schauen wollten, umschließt jetzt eine gepolsterte Bank. Das lenkt den Blick gleich in die noch imposantere Richtung, nach oben. „Das Kaffeehaus sollte auch so wirken, als wäre es immer schon so da gewesen“, sagt Zeisler. Inmitten eines Hauses, das selbst ein Kunstwerk ist. Und in das die Menschen nun einmal kommen, um Kunstwerke zu betrachten. Manchmal sogar sitzend von Möbeln aus. Wie jenen gepolsterten, die die Lüftungsanlagen in den Schau­sälen umschließen. „Es geht jedenfalls auch um die Sensibilität, welches Licht, welche Stimmung man in einem Museum anbieten möchte“, sagt Zeisler. Und auch: welche Sitzgelegenheiten man zur Verfügung stellt.

Kooperationen, die einrichten

In manchen Bereichen stehen auch Sofas, die die Möbelmanufaktur Wittmann eingebracht hat. Der Hersteller aus Etsdorf am Kamp fühlt sich traditionell in der Nähe von Kunst wohl – inhaltlich wie räumlich, außerdem als Sponsor oder Kooperationspartner. „Wir haben schon einigen Kunstinstitutionen Möbel zur Verfügung stellen dürfen“, erzählt Ulrike Wittmann. Für die Sezession, das Bank Austria Form, die Kunsthalle Krems. Wittmann sieht das Museum als passenden räumlichen Kontext für die Wittmann-Kollektionen.

Christine Pichler

Denn so einige Ansprüche an Gestaltung würden sich durchaus überschneiden: „Sicherlich jener an Qualität und Beständigkeit. Aber wir teilen auch die Leidenschaft für die schönen Dinge“, sagt Wittmann. Und dabei ist es am besten, wenn das eine Schöne mit dem anderen Schönen nicht allzu auffällig konkurriert. Deshalb fordern Museumsräume von ihren Möbeln vor allem eines ein: „Dass sie sich zurücknehmen.“

("Die Presse Schaufenster" vom 24.02.2023)

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