Gastkommentar

Wer hat die Bomben gelegt?

Nord-Stream-Beschädigung. Hat Seymour Hersh vielleicht recht? Es lohnt sich, seine Recherchen genauer zu lesen.

Der Autor:

Albrecht Rothacher (* 1955) war von 1984 bis 2020 im diplomatischen Dienst der EU, zuletzt Leitender Verwaltungsrat für die Wirtschafts- und Handelsfragen Russlands im Russland-Referat des EAD in Brüssel.

Zwei Hypothesen gab es immer, wer am 26. September 2022 drei der vier Nord-Stream-Pipelines vor Bornholm in die Luft gejagt haben könnte. Da war einmal die Variante mit Putin, der unberechenbar und selbstzerstörerisch sein eigenes Milliardenwerk selbst ruinieren würde.
Zweifellos hatte Gazprom als russischer Monopol-Exporteur in seinen Endlosstreitereien mit der Ukraine häufig Defekte an Turbinen und Ventilen vorgeschoben. Ab und zu war auch im tiefsten Winter eine Gasleitung praktischerweise explodiert. Doch hätte Putin, wie in der karelischen Kompressorstation Viipuri bereits vorexerziert, eine gewünschte Blockade mit vorgeschobenen technischen Problemen viel leichter ohne das Risiko, in dicht überwachten Nato-Gewässern erwischt zu werden, haben können.

Nun hat Seymour Hersh (85), einst mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneter US-Starjournalist – der nun von diversen Medien als Zentralorgan des ungedienten grün-roten Bellizismus disqualifiziert wurde –, für die nach dem „Cui bono“-Prinzip zweite Variante, nämlich die US-Urheberschaft und die norwegische Komplizität, eine sehr überzeugende Darstellung vorgelegt. Wie immer in seinen Enthüllungsgeschichten nennt er seine Primärquellen nicht.

Aufschlussreich ist die lapidare Reaktion der Bundesregierung auf eine detaillierte Anfrage der Linken: „Die Bundesregierung ist nach sorgfältiger Abwägung zu der Auffassung gelangt, dass die Beantwortung der Fragen aus Gründen des Staatswohls nicht erfolgen kann.“ Auch von den beteiligten Energiefirmen wie Wintershall, Uniper, Shell, der ÖMV und Engie kommt kein Sterbenswörtchen. Immerhin gibt es staatsanwaltschaftliche Untersuchungen wegen offenkundiger Sabotage.

Hershs These lautet so: Die Planungen waren schon im Herbst 2021 angelaufen, am 7. Februar 2022 drohte Joe Biden öffentlich: „Wenn Putin angreift, gibt es kein Nord Stream 2 mehr. Wir werden das zu einem Ende bringen.“ Oberster Scharfmacher an der US-Spitze waren laut Hersh der Sicherheitsbeauftragte Jake Sullivan und im US-Senat der Republikaner Ted Cruz, der texanische Energie- und Rüstungsinteressen vertritt. Die Idee war, Deutschland die Gasversorgung und damit die Energieabhängigkeit von Russland abzuschneiden, um den Wackelkandidaten Olaf Scholz in das US-ukrainische Bündnis mit deutschen Waffen- und Finanzhilfen zu zwingen. Sie verwarfen weitere Wirtschaftssanktionen, wollten eine Explosion. Da ein terroristischer Akt gegen fremdes Eigentum in internationalen Gewässern ein völkerrechtlicher Kriegsgrund ist, musste alles verdeckt laufen. Deshalb schieden in jenen dicht überwachten Gewässern der Ostsee Optionen wie ein unmittelbarer U-Boot-Einsatz oder Bomben mit Zeitzündern aus.

So nützte man eine US-U-Bootbasis in Norwegen, um im Rahmen eines Routinemanövers in der Ostsee namens Baltops 22 im Sommer 2022 diskret von Marinekampftauchern Explosivstoffe an den Pipelines in 80 Metern Seetiefe anzubringen. Sie wurden drei Monate später durch eine von einem norwegischen Marineflieger abgeworfene Sonarboje ausgelöst. Das norwegische Interesse war insofern evident, als die militärischen Beziehungen zu den USA in der Arktis und in Lappland sehr innig und vertrauensvoll sind und gerade die neue Baltic Gas Pipeline, die norwegisches Nordseegas über Dänemark nach Westpommern bringt, fertiggestellt wurde. Insofern wäre die Sprengung jener Pipeline für Putin viel naheliegender gewesen.

Bis eines Tages US-Strategen aufwachen und erkennen, dass sie das geschwächte, abgeschottete Russland als Rohstoffkolonie in die Arme ihres Erzrivalen China getrieben haben. Es wäre nicht ihre erste strategische Fehlleistung.

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