Volksschullehrer unterschätzen Leseprobleme

Volksschullehrer unterschaetzen Leseprobleme
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Schulstudie: Lehrer beurteilen die Lese- und Schreibleistungen ihrer Schüler oft völlig falsch. Auch wenn Probleme erkannt werden, schrillen im seltensten Fall rechtzeitig die Alarmglocken.

Wien. „Die Volksschullehrer sollten die Ersten sein, die Schwierigkeiten beim Lesenlernen bemerken“, sagt die Bildungspsychologin Barbara Maria Schmidt von der Uni Wien. Doch dazu sind diese offenbar nur begrenzt in der Lage: Schmidt hat 32 Klassenlehrer österreichischer Volksschulen gebeten, die Lese- und Rechtschreibkompetenzen ihrer Schüler einzuschätzen. Parallel dazu wurde die Leistung jedes Einzelnen per Test erhoben. Das beunruhigende Ergebnis: Die Lehrer beurteilen die Leseleistungen ihrer Schüler oftmals völlig falsch.

Denn: Rund 80 Prozent der Erstklässler, die unterdurchschnittliche Testergebnisse erzielen, sind den Lehrern zufolge gute oder eher gute Leser. In den folgenden Schuljahren werden die Einschätzungen der Lehrer zwar akkurater. Mit 40 Prozent ist der Anteil der Schüler, die sie fälschlicherweise als gut einstufen, aber auch am Ende der zweiten Klasse noch beträchtlich. Und auch, nachdem die Lehrer die Schüler vier Jahre lang beobachten konnten, gibt es Kinder, die als gute Leser eingeschätzt werden, beim Test aber schlecht abschneiden.

Wenn Probleme erkannt werden, schrillen in den wenigsten Fällen die Alarmglocken. Leseschwächen werden häufig als nur „vorübergehend“ eingestuft. All zu oft würden Pädagogen die Devise vertreten, „das renkt sich von selbst ein“, sagt Schmidt. Nur bei jedem fünften schwachen Schüler rechnet der Lehrer tatsächlich mit längerfristigen Problemen (siehe Tortengrafik). Bei rund 37 Prozent derjenigen, die in der ersten Klasse zu den unterdurchschnittlichen Lesern gehören, prognostizieren die Pädagogen für die Zukunft sogar „keine Probleme“.

(c) Die Presse / GK

Kaum Chance ohne Förderung

Leseschwächen seien jedoch nur im seltensten Fall vorübergehend, warnt Schmidt: „Ob sich ein Schüler von selbst verbessert, hängt sehr vom Umfeld ab“, sagt sie. „Doch grundsätzlich sind Leseprobleme äußerst persistent.“ Kinder könnten anfängliche Schwierigkeiten ohne Hilfe kaum überwinden. Das bestätigen auch die Zahlen.

Schmidt hat die Prognosen der Lehrer mit den späteren Leistungen abgeglichen. Bei fast 90 Prozent der Kinder, die am Ende der ersten Klasse schlechte Testergebnisse erzielten, waren von den Lehrern keine oder nur vorübergehende Probleme vorhergesagt worden. Umgekehrt zeigte sich, dass eine Verbesserung rasch möglich ist, wenn die Defizite und mögliche künftige Probleme präziser erkannt werden: Drei Viertel derjenigen, bei denen die Lehrer längerfristige Schwierigkeiten befürchtet hatten, schnitten nach einem Jahr mindestens durchschnittlich ab.

Gute Leistung bleibt unerkannt

Die Lehrer schätzen vor allem jene Schüler falsch ein, die nur im Lesen, weniger aber bei der Rechtschreibung Probleme haben. Bei den Rechtschreibleistungen sind die Bewertungen wesentlich präziser. „Das könnte daran liegen, dass Rechtschreibprobleme offensichtlicher sind“, so Schmidt. Schriftliche Übungen sind leichter zu korrigieren, Fehler einfacher auszumachen als etwa Schwierigkeiten beim Lesen. Dazu komme, dass die Kinder mit der Zeit auch Strategien entwickelten, um von der Leseschwäche abzulenken: So sei oft nur schwer zu erkennen, ob ein Schüler einen Text nun tatsächlich lese – oder ob er ihn nach häufigen Wiederholungen eher auswendig wiedergebe. Die Lehrer irren in ihrer Einschätzung übrigens nicht nur bei den schlechten Lesern: Rund sieben Prozent derjenigen, die sie über die Schuljahre hinweg als schlechte bis sehr schlechte Leser einstufen, schneiden beim Test durchschnittlich bis gut ab.

Schmidt ortet daher Defizite in der Aus- und Weiterbildung: Lehrer sollten gezielter dafür geschult werden, Probleme bei Kindern früher und akkurater zu erkennen, damit frühzeitig Fördermaßnahmen eingeleitet werden können. „Wenn Leseschwierigkeiten nicht bis Ende der ersten Klasse entdeckt werden, ist eine Verbesserung schwierig.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2011)

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