Akademietheater

Soliman wird wortreich seziert

Katrin Grumeth, hier als Frau des nach seinem Tod entwürdigend ausgestellten Angelo Soliman.
Katrin Grumeth, hier als Frau des nach seinem Tod entwürdigend ausgestellten Angelo Soliman. Marcella Ruiz Cruz
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Die Uraufführung von „Katharsis“ bot kaum Gelegenheit zur Läuterung. Der Stoff könnte unter die Haut gehen, doch die Kompanie Dead Centre hat sich verzettelt.

Katharsis ist ein anspruchsvoller Titel für ein Theaterstück. Das griechische Wort dient als Schlüsselbegriff der antiken Tragödie. Es kommt aus dem Sakralen, bezeichnet nicht nur eine medizinisch purgierende Wirkung, sondern auch die kultische Reinigung. Der Philosoph Aristoteles wandte das Wort in seiner „Poetik“ für das Trauerspiel an; Jammer und Schrecken erfasst das Publikum, das Furchtbares auf der Bühne sieht. Hoffentlich werden dadurch ihre Seelen ein bisschen geläutert!

Hat sich dieser Effekt bei der Uraufführung von „Katharsis“ im Akademietheater in Wien am Samstag gezeigt? Leider nein, denn die Produktion der irisch-britischen Kompanie Dead Centre streifte zwar unter die Haut gehende Themen (Rassismus, Aufklärung, Reaktion), bot spektakuläre Bilder, wurde vom Ensemble sowohl couragiert als auch cool gespielt. Aber es rührte nicht. Stattdessen erging sich die Regie bei ihren Gags in Schleifen der Wiederholung. Diese Anatomiestunde samt Crashkurs in Emanzipation und Antikolonialismus ließ wohl eher kalt. Dem entsprach das Bühnenbild von Jeremy Herbert: sparsam, plakativ. Weit vor dem Ende der eineinhalb Stunden (ohne Pause) war dieses Objekt ausgeweidet. Dass man sich im Finale ins Mystische zu retten suchte, gab der Inszenierung den Rest.


Ben Kidd und Bush Moukarzel haben vielleicht zu viel gewollt. Worum geht es in „Katharsis“? Den Kern bildet eine Geschichte aus dem Roman „Unrast“ der Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk: In fiktiven Briefen bittet eine Frau namens Josephine Kaiser Franz II. um die Herausgabe der sterblichen Überreste ihres Vaters. Dieser Mmadi Make ist aus Westafrika als Sklave nach Europa gekommen. Der polyglotte Mann landete schließlich unter dem neuen Namen Angelo Soliman bei Hofe in Wien, avancierte vom Kammerdiener zum Prinzenerzieher, heiratete die Witwe Magdalena Christiani. Er war ein angesehenes Mitglied der Freimaurerloge Zur wahren Eintracht, die Mozart oft besuchte. Kurz, Soliman war in Wien weltberühmt. Nach seinem Tod 1796 schlug die Reaktion zu. Seine Organe hat man zwar bestattet, doch seine Haut präpariert; als halb nackter „Wilder“ wurde diese ausgestopfte Hülle, angeblich auf Wunsch des Kaisers, bis 1806 im Naturalienkabinett ausgestellt. Dagegen protestierte Solimans Tochter heftig. Vergeblich. Sie starb 1801.

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