Mein Dienstag

Bundeskanzler Karl Nehammer und die Unwillkommenen

Ein Foto von der Ausstellung „Gastarbajteri“. Zu sehen sind in Österreich ankommende sogenannte Gastarbeiter.
Ein Foto von der Ausstellung „Gastarbajteri“. Zu sehen sind in Österreich ankommende sogenannte Gastarbeiter.APA
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Gastarbeiter – bis heute müssen sie für die Versäumnisse der Politik herhalten.

Sie seien also wider Erwarten geblieben und hätten sich nicht ausreichend integriert – die Gastarbeiter aus der Türkei, die ab 1964 angeworben worden sind. So die Darstellung von Karl Nehammer in seinem „Kanzlergespräch“.

Auf dem Rücken von Menschen Politik zu machen, die ihre Heimat und ihre Familie zurückließen, um eine zweite Heimat zu finden und ihrer Familie ein besseres Leben zu ermöglichen, zeugt von einer beachtlichen Chuzpe. Daher würde ich gern eine persönliche Erinnerung mit dem Bundeskanzler teilen.

Einer der ersten Gastarbeiter in Österreich wurde einer Fabrik in Tirol zugewiesen und in einem nahegelegenen Arbeiterheim untergebracht. In der Früh, wenn die Schicht begann, und am Abend, wenn sie endete, heulte eine Sirene. Hunderte Männer wurden in die Fabrik und zurück ins Heim begleitet. Das war's. Kein Programm am Abend. Keines am Wochenende. Kein Sprachkurs.

Mehrere Jahre im Leben dieses Mannes sind so vergangen. Die Hoffnung, genug Geld zu sparen, um zurückzukehren, schwand von Jahr zu Jahr. Nicht, weil er sein Einkommen verprasste – wo hätte er es denn ausgeben sollen? Sondern, weil die Sparziele von Anfang an unrealistisch waren und das Anwerbeabkommen zwischen Österreich und der Türkei ohne langfristige Strategie abgeschlossen worden war. In diesen Jahren fühlte sich der Mann derart unwillkommen, dass er in einem der Briefe an seine Frau schrieb: „Wenn sie könnten, würden sie uns jeden Morgen aus Ankara abholen und jeden Abend nach Ankara zurückbringen. Sie wollen uns hier einfach nicht haben.“

Dennoch holte er seine Frau nach. Und seine Kinder. Weitere Kinder kamen in Österreich zur Welt. Wie Zehntausende andere Gastarbeiter kehrte er nie in die Türkei zurück. Er kam aber auch nie wirklich in Österreich an. Fremd in der ersten Heimat, fremd in der zweiten. Ein paar Monate hier, ein paar Monate dort.

Das hatte er sich anders vorgestellt, als er vor 55 Jahren gebeten wurde, nach Österreich zu kommen, um mitanzupacken. Und noch immer muss er für die Versäumnisse der Politik herhalten – dieser alte, von schwerer körperlicher Arbeit gezeichnete Mann, der mein Vater ist.

E-Mails an: koeksal.baltaci@diepresse.com

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