Mein Donnerstag

Vom Heimweh nach Bäumen in der Stadt

Die Presse/Clemens Fabry
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Warum Wiener um Bäume so ein Bahö machen und was ein neues psychologisches Phänomen damit zu tun haben könnte.

Vergangenen Sommer hatten wir eine Praktikantin in der Redaktion, die eine Bemerkung machte, die mir seitdem in Erinnerung blieb: „Was haben die Wiener mit ihren Bäumen?“ So, oder so ähnlich, lautete die durchaus ernst gemeinte Frage. Die junge Kollegin, extra aus Tirol angereist, konnte nicht ganz nachvollziehen, warum das Ressort einen Artikel über die vertrocknet wirkenden jungen Stadtbäume plante. Oder warum es einst die Rettung einer Platane über Wochen begleitete. In Tirol, meinte sie, werde nicht um jeden Baum so ein Bahö (zugegeben, sie verwendete ein anderes Wort) gemacht. Aber gut, Tirol hat auch um einige Bäume mehr zur Verfügung als Wien.

Abgesehen davon, dass sie die wichtigsten Helfer in einer heißer werdenden Großstadt sind, könnte es noch einen anderen Grund geben, warum abgeholzte Bäume regelmäßig Bürgerproteste und Empörung hervorrufen: Solastalgie. Das Wort – ich habe es vor kurzem gelernt – beschreibt das belastende Gefühl, das durch die Zerstörung oder die negative empfundene Veränderung der eigenen Heimat oder des eigenen Lebensraums entsteht. Der Schmerz, der dabei aufkommt, fühlt sich ein bisschen wie Heimweh an. Heimweh nach einem Ort, den es in seiner ursprünglichen Form nicht mehr gibt.

Geprägt wurde der Begriff von dem Umweltphilosophen Glenn Albrecht, der im Zuge seiner Forschung Bewohner einer australischen Region begleitete, die durch den Kohletagbau massiv verunstaltet wurde. Dabei stellte er bei den Menschen einen diffusen Verlustschmerz fest, den sie nicht weiter erklären konnten. Mittlerweile wird Solastalgie als eine der Auswirkungen des Klimawandels auf die psychische Gesundheit anerkannt.

Bei gerodeten Bäumen in Wien wird sie hoffentlich nicht mehr allzu oft auftreten – ist doch der Wert der Stadtbäume tief ins Wiener Bewusstsein eingedrungen. Begleiten wird uns die Solastalgie trotzdem. Wenn man etwa an die schwindenden Gletscher denkt, wohl auch in Tirol.

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