Buchkritik

Roman "Eva": Welche Zukunft haben Kinder in dieser Welt?

(c) Paula Winkler
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Wie kann man noch guten Gewissens auf der von der Klimakatastrophe bedrohten Erde leben ­und in dieselbe auch noch Kinder setzen? Verena Keßler gewährt in ihrem Roman "Eva“ Einblick in die unterschiedlichen Lebensentwürfe von vier Frauen.

Es ist eine Frage, die vor allem Frauen gestellt wird: Kann man es verantworten, auf eine bereits überlastete Erde noch weitere Kinder zu setzen? Die Antworten darauf fallen sehr unterschiedlich aus. Da ist Sina, die offenbar nur ihrem Freund zuliebe unbedingt schwanger werden will – er wünscht sich nämlich nichts sehnlicher als eine große Familie. Da sich aber zwei Jahre lang keine Schwangerschaft einstellt, beginnen die mühseligen ärztlichen Untersuchungen und Besuche in Fruchtbarkeitskliniken. Unweigerlich fragt man sich das, was auch Sina zu überlegen beginnt, aber nicht auszusprechen wagt: Soll es überhaupt geschehen? Und wie hoch darf der Preis für eine, ihre Familie sein?

Sinas Schwester, Mona, ist hingegen bereits dreifache Mutter – und ihre Situation sieht ganz anders aus: Ihr Leben scheint geprägt von unendlicher Müdigkeit, Ausgelaugtsein, Dauerüberforderung. Als Sina und Mona einen Kurztrip ans Meer machen, fühlt sich Mona erstmals seit langer Zeit frei – aber sofort völlig in die Ecke getrieben, sobald Mann und Kinder sie am Telefon zu erreichen versuchen. Ist das die Kehrseite der glücklichen Familie?

Shitstorm und Todesdrohungen. Auf Eva, eine Lehrerin und überzeugte Nicht-Mutter, trifft die Journalistin Sina, als sie Eva zu ihrem Essay über die Zukunft unserer Gesellschaft auf der Erde inklusive Kinderfrage befragt. Das Interview zieht drastische Folgen nach sich: Eva erntet Shitstorm über Shitstorm und erhält Todesdrohungen, denn „den Deutschen darf man doch nicht das Recht auf Nachwuchs absprechen“. Als ihr Hund vergiftet wird, hat Eva genug: Sie gibt ihre Arbeit als Lehrerin auf und flüchtet aufs Land. Jene Person, die wichtige Fragen stellt, wird also so wüst behandelt, da sich viele Menschen – vor allem Eltern – auf den Schlips getreten fühlen. Was sagt das über ein mögliches Abwenden der Klimakatastrophe aus, wenn unangenehme Lösungsvorschläge nicht vorgebracht werden dürfen?

Die vierte Geschichte beinhaltet wohl die schlimmste Horrorvorstellung von Eltern: dass ihren Kindern etwas zustößt. Die namenlose Erzählerin adressiert ein unbekanntes Du: ihr Kind, das vor sechs Jahren gestorben ist; der Schmerz der Mutter ist omnipräsent und durch die Zeilen spürbar. In der Episode beschreibt Keßler einen Familienplan, der auf schlimmstmögliche Weise zunichte gemacht wurde.

Verena Keßler lässt die Figur Eva wichtige Fragen stellen, wofür Eva seitens der Gesellschaft auch am stärksten kritisiert wird. Hinterfragt wird anhand von Sinas und Monas Geschichten aber zugleich das Glückliche-Eltern-Kind-Lebensmodell: Für Sina bedeutet Kinderlosigkeit offenbar, keine richtige Familie haben zu können. Mona, die vorbildlich die ihr zugewiesene Rolle als Mutter erfüllt, bleibt indes als Frau auf der Strecke. Eva, die bewusst auf Nachwuchs verzichtet, wird angefeindet, während die Mutter des toten Kindes aufgrund ihres Verlusts offen bedauert wird. Was wiegt hier schwerer? Keßler wirft in dem kurzen Roman „Eva“ wesentliche gesellschaftspolitische Fragen auf, denen wir uns aktuell mehr denn je stellen müssen. Doch: Realistische Familienplanung ist nicht nur Frauensache!

(c) Verlag

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